Die Quellen zur älteren Musikgeschichte Österreichs sind bis heute von der Forschung nicht hinreichend aufgearbeitet. Trotz verdienstvoller Einzelstudien bedarf es nach wie vor einer systematischen Erschließung der musikalischen Überlieferung in österreichischen Bibliotheken vom 9. bis zum frühen 16. Jahrhundert. Dabei zeigt sich, dass die Desiderata bei der größten Sammlung unseres Landes, der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB), am deutlichsten sind.
Das dringendste Forschungsanliegen besteht in der Erfassung und Auswertung sämtlicher Quellen mit musikalischer Notation, die sich in der Sammlung von Handschriften und alten Drucken sowie in der Musiksammlung der ÖNB befinden. Dieses klar definierte Kriterium (Vorhandensein von schriftlich fixierter Musik) scheint für einen Katalog wesentlich praktikabler als eine Einengung auf bestimmte musikalische Repertoires, Gattungen oder Epochen, und es bietet aufgrund seiner leichten Erkennbarkeit die meisten Chancen für eine Zusammenarbeit mit verwandten Disziplinen.
Aus historischen Gründen handelt es sich hier um einen äußerst inhomogenen Bestand. Naturgemäß überwiegen die lateinischen Codices, doch es werden auch deutsche, niederländische und tschechische Texte berücksichtigt. Eine aktuelle Liste der aus Katalogen und anderer wissenschaftlicher Literatur bekannten sowie der noch unbekannten Quellen umfasst insgesamt 413 Signaturen. Dieser relativ umfangreiche Bestand wird in einem musik-wissenschaftlich ausgerichteten Gesamtkatalog beschrieben werden.
Der Katalog, der über 100 Beschreibungen von vollständig notierten Handschriften des Mittelalters bietet, ist monographisch angelegt: Die Informationen über das Äußere der Handschriften werden unter Einbeziehung der Forschungsgeschichte ergänzt durch einen musikwissenschaftlichen Kommentar, der die jeweilige Quelle in ihren historischen Kontext stellt. Neben den kodikologischen Angaben und der Präsentation des Inhalts (bei Liturgica mit dem Verweis auf Standardtexte) wird auf die Beschreibung der musikalischen Notationen großer Wert gelegt.
Die in den Quellen verwendeten Notationsformen werden in Kooperation mit der ÖNB durch digitalisierte Aufnahmen (meist mehrere für jede Handschrift) unterstützt, die im Internet ab sofort zur Verfügung stehen. Projektspezifische Datenbanken bieten Suchoptionen zu Inhalt, Datierung, Lokalisierung und Musiknotationen. Der zweite Schwerpunkt betrifft die zahlreichen Fragmente: Derzeit konnten 609 Musikfragmente identifiziert werden, wobei sich die Zusammenführung in Gruppen durch die bereits begonnene Digitalisierung veranschaulichen lässt.
Widerlegung einer Mondseeer Herkunft, Passauer Liturgie, besondere Verehung des hl. Pankratz
Das sehr umfangreiche Corpus an liturgischen Handschriften aus den Klosterneuburger Augustinerstiften St. Maria und St. Magdalena stellt eine große Herausforderung für die Musikwissenschaft dar. Dieser Aufsatz soll als Grundlage für die weitere umfassende Erschließung der Klosterneuburger liturgischen Tradition dienen. Es konnten sowohl für die Messe als auch für das Offizium eindeutige Charakteristika herausgearbeitet werden, die eine Unterscheidung der beiden Teiltraditionen des Chorherren- bzw. Chorfrauenklosters ermöglichen. Anhand dieses festgestellten Klosterneuburger Propriums ist eine deutliche Unterscheidung zu verwandten Traditionen innerhalb der Diözese Passau möglich. Durch diese „fingerprints“ konnte die vermutete Klosterneuburger Provenienz der beiden Gradualien A-Gu 807 und A-Wn 13314 eindeutig bestätigt werden. Zusätzlich gelang es, eine weitere liturgische Handschrift, das neumierte Brevier A-Wn 1717, zweifelsfrei Klosterneuburg zuzuweisen. Ein Vergleich mit den Offiziumsquellen aus St. Nikola Passau ließ, abgesehen von einer zugrundeliegenden Passauer Diözesanliturgie, keine näheren Beziehungen zwischen den beiden Traditionen erkennen. Die Frage nach den Ursprüngen der Klosterneuburger Liturgie konnte bis dato nicht beantwortet werden. Man kann davon ausgehen, dass die verschiedenen liturgischen Handschriften (A-Wn 13314, A-Gu 807, A-KN 1012 und A-KN1013), die in den ersten beiden Dezennien nach der Umwandlung kopiert oder kompiliert wurden, in Klosterneuburg entstanden sind. Es ist zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht nachweisbar, ob das ziemlich umfangreiche Klosterneuburger liturgische Proprium (sowohl Mess- und Offiziumsgesänge als auch das sehr spezielle Sequenzrepertoire) von einer anderen Institution übernommen oder in Klosterneuburg neu kompiliert worden ist. Auf Grundlage dieses Aufsatzes und der verschiedenen vorausgehenden Arbeiten soll in einem geplanten Forschungsprojekt das vollständige liturgische Handschriftencorpus Klosterneuburgs erschlossen werden. Aufbauend auf Franz Karl Praßls Forschungen zum Augustinersequenzrepertoire müssen die Klosterneuburger Haustraditionen in einen größeren diözesanen Zusammenhang gestellt werden. Dadurch könnten Rückschlüsse auf die Ursprünge der Klosterneuburger Liturgie zum einen und auf die bisher wenig erforschte Liturgie der Passauer Domkirche bzw. der Diözese zum anderen möglich werden.
Projektleitung und Kontakt
Mitarbeiterin und Mitarbeiter
Mag. Ana Čizmić
Doz. Dr. Robert Klugseder
Laufzeit
April 2008 – August 2015
Finanzierung
P24844-G21
Partner