Guido Adler (1855–1941), der erste Leiter des Musikwissenschaftlichen Instituts (ursprünglich Seminar) an der Universität Wien (Gründung 1898) und einer der Gründungsväter der Musikwissenschaft als akademische Disziplin, hat die theoretische Ausrichtung des Faches bis heute tief geprägt. Von Adler stammt die Zweiteilung der Disziplin in einen historischen und einen systematisch-vergleichenden Teil, die Adler in seinem Programmaufsatz Umfang, Methode und Ziel der Musikwissenschaft von 1885 entwickelte. Die Integration eines systematisch-vergleichenden Forschungszweiges, den Adler gleichberechtigt neben den bereits etablierten historischen Ansatz setzt, führt zu einer anderen Gliederung der Forschungsfragen als sie die früher institutionalisierte Kunstgeschichte vornimmt (erstes Wiener Ordinariat 1863, zweiter Lehrstuhl 1879). Diese frühere Institutionalisierung der Kunstgeschichte v.a. in Deutschland, d.h. in den Ländern des deutschen Bundes, stellt die Entwicklung der kunsthistorischen Forschung in andere philosophische, kultur- und wissenschaftshistorische und politische Zusammenhänge (Idealismus, Historismus, Nationalismus). Adler konnte 1885 bereits auf den enormen Bedeutungsgewinn der Naturwissenschaften reagieren, Historismus und v.a. Idealismus hatten ein Einfluss verloren, die Nationalitätenthematik war in Österreich grundsätzlich anders strukturiert. Vor diesem Hintergrund konnte Adler Weichenstellungen vornehmen, die bis heute fortwirken – trotz weiterer Differenzierungen seit der Zwischen- und Nachkriegszeit und spezifischen akademischen Traditionen im Anglo-Amerikanischen Raum ist die Kunstgeschichte bis heute dominant historisch ausgerichtet, während die Musikwissenschaft ihr breiter angelegtes Profil (mit Abstrichen) erhalten hat.

Das Projekt soll zwei bis heute unerforschten möglichen Quellen von Adlers systematisch-vergleichender Ausrichtung nachgehen, die in seinem Bildungsgang begründet sind, konkret (a) Adlers gymnasialer Ausbildung im Fach „philosophische Propädeutik“ und (b) Adlers juristischen Studien. Beide Einflussquellen führen zu einer spezifischen intellektuellen Prägung, die systematisch-vergleichende Inhalte stark betont und das historische Denken eingrenzt.

Projektleitung

Barbara Boisits

 

Mitarbeiter

Christoph Landerer

 

Finanzierung

Stadt Wien

 

Laufzeit

08/2024–01/2025