Die Einbeziehung der Landschaft in rituelle Praktiken der Bevölkerung ist im tibetisch-buddhistischen Kulturraum in besonderer Weise ausgeprägt. Das Beschreiten von Umrundungswegen ist eine dieser Praktiken, welche in diesem Kulturraum weit verbreitet und Teil der gängigen religiösen Praxis ist. Dabei wird der spirituelle Raum durch unterschiedliche, untereinander in Beziehung stehende räumliche Marker definiert. Dies können bestimmte Gebäude oder bauliche Strukturen sein, aber auch naturräumliche Phänomene wie Landschaftsformationen oder Plätze in der Landschaft. Die rituelle Nutzung dieses rituellen Raumes bringt die lokale Bevölkerung, Gläubige und Pilger mit dem Raum in dessen Gesamtheit einerseits und mit einzelnen Bereichen dieses Raumes andererseits in eine den Alltag der Bevölkerung mitbestimmende Wechselwirkung. Die Gesamtheit dieses spirituellen Raumes lässt sich als ein historisch gewachsenes räumliches Konzept verstehen. Soziale, wirtschaftliche und naturräumliche Veränderungen tragen auch zu einer Veränderung der rituellen Topografie bei. Dies betrifft beispielsweise ein Umrundungsritual (`ong skor), bei welchem die Lage der Felder die Umrundungsroute definieren. Der voranschreitende Klimawandel trägt jedoch zu einer Veränderung der bewirtschafteten Feldflächen bei, ein Umstand, welcher sich wiederum in der Veränderung der begangenen Routen und damit in der räumlichen Definition der rituellen Topografie widerspiegelt. Der Bezug der lokalen Bevölkerung in diesem rituellen Raum steht in einem sozialen und auch sozial- hierarchischen Kontext, woraus bestimmte tradierte Handlungen und Aufgaben innerhalb der Dorfgemeinschaft resultieren. Der rituelle Raum umfasst nicht nur das Gebiet des Dorfes, sondern geht weit über diesen hinaus und bezieht naturräumliche Phänomene wie Berge oder Gewässer mit ein. Mandalische Strukturen finden sich in diesem Kontext in unterschiedlichen Maßstäben und sozial-räumlichen Bezügen wieder, wobei die rituelle Nutzung der Landschaft der räumlichen Organisation des besiedelten Raumes zugrunde liegt. Mit einem Forschungsschwerpunkt auf den westlichen Himalaya besagt die Hypothese, dass soziale Aktivitäten eine entscheidende Rolle bei der Kontextualisierung bestehender Bereiche und Objekte innerhalb des rituellen Raums spielen und dass sich diese in der räumlich-sozialen Organisation ganzer Siedlungen widerspiegeln. Ausgehend von dieser Hypothese lauten die Forschungsfragen: Wie ist der dörfliche Raum in seiner Materialität, Anordnung und Gestaltung mit der Nutzung durch die lokale Gemeinschaft verbunden? Wie bestimmen die Praktiken der Umrundung ein dreidimensionales Verständnis einer Einheit von Objekten, Architektur und Landschaft?


Projektleitung:
Hubert Feiglstorfer

Projektmitarbeiter:
Martin Pospichal

[Info: weitere Mitarbeiter*innen werden nach Beauftragung ergänzt]

Projektlaufzeit:
01.10.2023 – 30.09.2027

Finanzierung:
FWF Einzelprojekt