24.07.2024 | Olympische Sommerspiele

Geschichte von Olympia: “Ein strikt auf Männer ausgerichtetes Konzept”

Erstmals treten 2024 in Paris gleich viele Frauen wie Männer bei den Olympischen Sommerspielen an. Fragen rund um Geschlecht sind bei Olympia allerdings schon seit Beginn ein Thema. ÖAW-Historikerin Sandra Klos blickt im Interview auf die Geschichte der modernen Olympischen Spiele zurück und zeigt auf, wie eng Vorstellungen von Geschlecht schon immer damit verbunden waren.  

Olympia war schon immer auf männliche Athleten ausgerichtet, so Sandra Klos im Interview. © Adobe Stock

Die Ursprünge der Olympischen Spiele liegen in der Antike. Schon damals wetteiferten Athleten (ausschließlich Männer) in verschiedenen Sportdisziplinen um den Sieg. Als archäologische Ausgrabungen Ende des 19. Jahrhunderts die Spiele wieder bekannt machten, wuchs das Interesse an einer Neuaufnahme der Spiele. Sportliche, internationale Auseinandersetzungen erschienen als friedliche Alternative zu Kriegen und Blutvergießen, wurden jedoch von Beginn an für verschiedene Interessen instrumentalisiert, wie ÖAW-Historikerin Sandra Klos im Interview erzählt. 

Wie kam es zur Entstehung der modernen Olympischen Spiele? 

Sandra Klos: Die modernen Olympischen Spiele beginnen mit der Sorbonner Konferenz 1894. Die ersten finden dann 1896 in Athen statt. Sie beziehen sich auf das griechische antike Vorbild für einen neuen Körperkult, der aber selbst aus der Moderne heraus geboren ist. Das hat eigentlich nicht viel mit dem antiken Griechenland zu tun, aber sehr viel mehr mit der Moderne.  

Frauen bei Olympia

Wer durfte daran teilnehmen? 

Klos: Am Anfang durften nur Männer teilnehmen. Der Gründer des olympischen Komitees, Pierre de Coubertin war strikt dagegen, dass Frauen teilnehmen. Er hatte im Laufe der Zeit aber nicht mehr so viel zu sagen. Schon in der zweiten Olympiade in Paris hat das Internationale Olympische Komitee an Bedeutung und ein Stück weit auch die Kontrolle über die Spiele verloren. Daher konnten auch Frauen teilnehmen, was zwar laut der Olympischen Idee so nicht vorgesehen war, aber in der Praxis trotzdem der Fall war. 

Die Olympischen Spiele waren ein strikt auf Männer ausgerichtetes Konzept.

Warum sollten Frauen nicht teilnehmen? 

Klos: Weil die Olympischen Spiele ein strikt auf Männer ausgerichtetes Konzept war, das der Verweiblichung und Entmännlichung der Moderne entgegenstehen sollte. Der Fatalismus der Moderne besagt, dass die Männer degenerieren und dadurch an Männlichkeit verlieren. Diese Männlichkeit müsse durch Sport oder Krieg wieder aufgebaut werden. 

Inszenierung von Männlichkeit 

Warum sollten Männer bei den Olympischen Spielen ihre Männlichkeit unter Beweis stellen? 

Klos: Es liegt vor dem Ersten Weltkrieg in Europa eine relativ lange Friedenszeit vor. Spannungen werden durch Stellvertreterkriege auf dem Balkan ausgetragen, die dann zum Pulverfass für Europa werden. Diese Spannungen zeigen sich auch im Sport. Zwar sollten nur Amateure an den Spielen teilnehmen, die Sport nicht professionell ausüben, dennoch wurden Berufssoldaten zugelassen, die in Uniform am Schießen teilnahmen. Daran zeigt sich, dass der kriegstreibende Gedanke in den Olympischen Spielen tief verankert ist. 

Der kriegstreibende Gedanke ist in den Olympischen Spielen tief verankert. 

Auch für die Nationalsozialisten spielten die Olympischen Spiele eine wichtige Rolle. Inwiefern wurde die nationalsozialistische Ideologie auch über die Olympischen Spiele transportiert? 

Klos: Die Nationalsozialisten haben daraus einen Wettbewerb gemacht, der ihre Rassentheorie belegen sollten. Im Sport sollte sich zeigen, wie auch in der Eugenik und anderen Feldern, dass die weiße Rasse die überlegene Rasse war. Das ist nicht ganz aufgegangen. Jesse Owens, ein sehr bekannter Olympionike, hat 1936 in Berlin viele Medaillen geholt und Hitler dadurch ein Schnippchen geschlagen hat.  

Binäre Geschlechtervorstellung

Heute wird vor allem die Debatte rund um die Teilnahme von Transpersonen bei Olympia geführt. Inwiefern hat sich das Geschlechterverständnis bei Olympia verändert?  

Klos: Das Geschlechterverständnis bei Olympia beruht auf einer klaren Binarität, die so in der Realität nicht gegeben ist. Bei den Olympischen Spielen 1936 in Deutschland soll zum Beispiel eine Transperson teilgenommen haben, die ihr ganzes Leben lang in dieser Geschlechtsidentität gelebt hat. Erst bei der Beerdigung soll aufgefallen sein, dass es sich um eine Transperson handelt. All diese Sportmythen, die sich um die Olympischen Spiele ranken, zeigen, dass die Definition von Geschlecht von Anfang an ein Thema war. Wie definieren wir Geschlecht – nach den Hormonspiegeln, den Chromosomen oder den sekundären Geschlechtsmerkmalen – um diese Binarität, die es in der Realität nicht gibt, aufrechtzuerhalten? Mittlerweile sind hier die Olympischen Spiele auch immer wieder in Kritik geraten, weil sie dieser Debatte hinterherhinken.  

Die Definition von Geschlecht war von Anfang an ein Thema.

Kann man zusammenfassend sagen, dass die historischen, kulturellen, sozialen Begebenheiten und Fragestellungen der jeweiligen Zeit sich auch in den Olympischen Spielen widerspiegeln? 

Klos: Absolut. Um noch ein Beispiel zu nennen: Die Olympischen Spiele 1900 in Paris fanden in Zusammenhang mit der Weltausstellung statt.  Es war ein großes Festival der Nationen, das ganz stark auch mit der Weltausstellungsidee zusammenhing. Und auch in späteren Dekaden wurde Olympia immer wieder mit aktuellen Ideen in Verbindung gebracht.  

 

 

AUF EINEN BLICK 

Sandra Klos studierte Geschichtswissenschaften an der Universität Heidelberg und schrieb ihre Abschlussarbeit zur Darstellung von Männlichkeit und Moderne im Kontext der modernen Olympischen Spiele. Derzeit ist sie am Institut für Kulturwissenschaften der ÖAW in der Arbeitsgruppe „Geschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1847–2022“ tätig und forscht zu wissenschaftlichen Vereinen und Gesellschaften im Österreich des 19. und 20. Jahrhunderts.