30.07.2024 | Musikgeschichte

Auch klassische Komponisten hatten Beefs

Der Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick lieferte sich mit dem Komponisten Richard Wagner legendäre Auseinandersetzungen, die durchaus unter die Gürtellinie gingen. Warum Zeitungen damals so polemisch waren, und wer gegen wen Stellung bezog, erzählt der ÖAW-Musikwissenschaftler Alexander Wilfing im Gespräch.

© AdobeStock

Sogenannte „Beefs“, also öffentlich ausgetragene Streitigkeiten, gehören in der modernen Rap-Welt zum guten Ton: So pflegen beispielsweise die bekannten US-amerikanischen Rapper Kendrick Lamar und Drake seit Jahren einen heftigen Disput, den die Medien mit größtem Eifer  befeuern. Ganz so neu ist dieses Phänomen dabei nicht. Denn bereits im 19. Jahrhundert kam es zu heftigen und durchaus untergriffigen Debatten in der Welt der Musik - insbesondere zwischen Journalist:innen und Komponist:innen. Den Streit mit dem Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick verarbeitete Richard Wagner beispielsweise sogar in seinen „Meistersingern von Nürnberg“, wo er diesen der Lächerlichkeit preisgab.

Ein Experte auf diesem Gebiet ist der Musikwissenschafter Alexander Wilfing. Er leitet am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ein Forschungsprojekt über Eduard Hanslicks Kritiken. Im Gespräch erklärt er, welche Streitpunkte es damals gab und Zeitungen davon hatten, möglichst polemisch aufzutreten.

Worüber stritt man in der Musik des 19. Jahrhunderts?

Alexander Wilfing: Meist drehte es sich um ästhetische Streitpunkte wie die Berechtigung der Programmmusik oder die Opernreform von Richard Wagner, die die Gemüter erhitzten und zu jahrzehntelangen Diskussionen und Auseinandersetzungen führten, bis tief unter die Gürtellinie. Diese fanden nicht nur in den Zeitungen statt, die Komponisten schossen auch zurück. Wagner hat zum Beispiel seinen Wiener Hauptkritiker Eduard Hanslick in den „Meistersingern von Nürnberg“ karikiert. Als Sixtus Beckmesser nörgelt er höchst kleinlich an Walther von Stolzing herum. Hanslick hat sich dazu natürlich auch in der Zeitung geäußert, er würde nicht irgendwelche Kleinigkeiten kritisieren, sondern das Konzept von Wagners Zukunftsmusik aus Prinzip in Frage stellen.

Macht der Medien

Musikkritiker hatten damals viel Macht?

Wilfing: Sie waren auf jeden Fall Autoritäten. Der deutsche Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus meinte rückblickend, dass im 19. Jahrhunderte die Musikgeschichte nicht nur von den Komponisten, sondern mindestens genauso vom Musikdiskurs, dem Schreiben über Musik, vorangetrieben wurde. Hanslick war eine bedeutende Stimme der sogenannten Konservativen. Auf der anderen Seite gab es etwa in Leipzig mit Franz Brendel als Herausgeber der "Neuen Zeitschrift für Musik" eine wichtige Kritikstimme, die Wagner und die sogenannten Neudeutschen begeistert unterstützt hat. Es ging damals aber nicht nur um die Zukunft der Musik, sondern auch um die wichtige Frage, was zum Kanon gehören soll und was nicht.

Richard Wagner etwa hat Hanslicks Kritik damit abgekanzelt, dass sie jüdisch sei.

Es scheint, als ob sehr extreme Positionen aufeinandergeprallt wären. 

Wilfing: Durchaus. Meist in sehr schönem Deutsch verpackt, argumentierte man höchst polemisch. Der deutsche romantische Komponist Hans Pfitzner hat 1919 eine Polemik mit dem Titel „Die neue Ästhetik der musikalischen Impotenz“ verfasst. Vor allem im späten 19. Jahrhundert, nachdem die Ideen des Darwinismus sich in groben Zügen überall verbreitet hatten, trugen auch die Kritik und Wissenschaft oft stark biologistische Züge, wo es dann auch um Gesundheit und Degeneration ging. Auch Antisemitismus spielte immer mehr eine Rolle. Richard Wagner etwa hat Hanslicks Kritik damit abgekanzelt, dass sie jüdisch sei. Wobei man sich aber nicht vorstellen darf, dass alles eindeutig zuordenbar gewesen wäre. Nicht alle, die zum Beispiel Wagner verehrt haben, waren Antisemiten und Deutschnationale oder stimmten gar mit allen seinen Positionen überein. Da gab es schon sehr viele Nuancen und Schattierungen auf beiden Seiten. Das macht diese ganze Debatte auch interessant und komplex. Die neuere Forschung stellt immer mehr die Frage, ob es die „Schulen“ der Progressiven und Konservativen eigentlich wirklich als abgegrenzte Lager gegeben hat.

Schmähungen in Biographien

Wurden auch direkt Briefe geschrieben?

Wilfing: Eher selten, aber es gibt viele Anekdoten im Rahmen von Biografien. Johannes Brahms und Anton Bruckner wurden in Wien als Gegenpole der Neuen Musik gesehen, die beiden haben nicht öffentlich übereinander gewettert. Aber in ihren jeweiligen Biografien gab es sehr abfällige Äußerungen. So ist etwa überliefert, dass Brahms die Musik Bruckners angeblich als „Schwindel“ bezeichnet hat, die „in ein bis zwei Jahren tot und vergessen sein wird“. Bruckner hat sich aber weitgehend aus öffentlichen Debatten herausgehalten, er hat sich scheinbar wirklich nur für seine Musik interessiert. Es gibt über ihn allerdings eine Anekdote, dass er sich bei Kaiser Franz Joseph I. darüber beschwerte, dass Hanslick schlecht über ihn schreibe und er das doch bitte einstellen solle.

Urteile wurden so zugespitzt, dass sie interessant waren.

Journalismus hat heute einen schlechten Ruf, aber eigentlich war er früher viel polemischer.

Wilfing: Das kann man durchaus so sagen, zumindest in der Musikkritik. Im späteren 19. Jahrhundert verstand sich das Feuilleton als eine Art von Unterhaltungsliteratur. Urteile wurden so zugespitzt, dass sie interessant waren.  Respekt und Wahrheit standen dabei nicht immer im Zentrum, sondern es ging darum, gut leserliche und aufwühlende Feuilletons zu publizieren. Das lag auch an der wachsenden Anzahl an Zeitungen, die untereinander konkurrierten. Da wurden sicher auch einige rote Linien überschritten. Hugo Wolf ist da ein gutes Beispiel, der Brahms’ Vierte Symphonie als ein Dokument der „Nichtigkeit, Hohlheit und Duckmäuserei“ bezeichnet hat. Man darf sich aber nicht vorstellen, dass das mit dem 19. Jahrhundert aufgehört hätte. Nach der Berliner Uraufführung des „Wozzeck“ nannte der Kritiker Paul Zschorlich Alban Berg einen „musikalischen Hochstapler“ und dessen Oper ein „Kapitalverbrechen“. Dass solche scharfen Töne bis in die 1930er- und 1940er-Jahre und teilweise darüber hinaus zu finden sind, überrascht dagegen kaum.

 

Auf einen Blick

Alexander Wilfing forscht am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der ÖAW im Bereich Musicology, darunter im Projekt Eduard Hanslick’s Criticism between Aesthetics, Journalism, and Scholarship"

Informationen zum Projekt