06.09.2024

Sounds & Sights of Science #33

Dem Archivraum zuhören: Klingende Infrastrukturen zwischen Umsorgung und Einhegung? – vorgestellt von Jasemin Khaleli

Was ist zu hören?

Der kurze Audiowalk wendet sich den alltäglichen und wenig beachteten Umgebungsgeräuschen im Phonogrammarchiv zu und fragt danach, was Sound in Bezug auf ein Klangarchiv (noch) sein kann. Die von mir gemachte Aufnahme dokumentiert eine im Archivraum situierte Klanglandschaft und macht den Zugriff auf das (materiell gedachte) Herzstück des Archivs hörbar: Der knarzende Dielenboden, das Aufschließen der Brandschutztür, das Summen von Klimaanlage und Entfeuchtungsgerät, das Fahren der Compactus-Rollregale und das Öffnen des Planschranks – essenzielle Infrastrukturen und ein klingendes Zeugnis von Archiven als ganz und gar nicht stille, sondern produktive Orte des Erhaltens, Ordnens und Erschließens.

Was ist daran besonders interessant?

Der bevorstehende Auszug des Phonogrammarchivs und sein fast 100-jähriges Bestehen in den Räumlichkeiten der Liebiggasse geben Anlass dazu, das Klangarchiv auch ‚vom Raum her‘ zu befragen. Dass Klangarchive mehr sind als ein Depot ihrer Sammlungsbestände, nämlich auch Logiken und Architekturen der Wissensorganisation und -produktion (Lange 2018), zeigt sich vor allem dann, wenn eine Übersiedlung ins Haus steht und archivarische Infrastrukturen an einem neuen Ort gedacht werden müssen. Während die historischen Tondokumente des Phonogrammarchivs aber unabhängig vom Ort und Zeitpunkt ihrer Herstellung an neuen Orten reaktiviert werden können, verklingen und verschwinden mit der Übersiedlung andere raumbezogene Aspekte: so zum Beispiel die Klangprodukte, die von den spezifischen technischen, architektonischen und medialen Bedingungen der Archivarbeit erzählen.

 

Wie beschäftige ich mich damit?

Seit der Öffnung gesellschaftlich relevanter Archive und dem Lautwerden von machtkritischen, post- und dekolonialen Perspektiven auf Archive als exkludierende und lückenhafte Ordnungen (Ebeling 2022) wird kritisch hinterfragt, wie Archive gedacht werden. So hat Ann Stoler (2002) in Bezug auf koloniale Archive beispielsweise angeregt, die Archivkonfigurationen selbst einer ethnographischen Forschung zu unterziehen. In einer ähnlichen Geste der Annäherung an die Materialität des Archivs als historisch geprägter Ungleichheitskontext konnte ich als Mitarbeiterin des ÆSR Labs im vergangenen Semester eine Lehrveranstaltungskooperation mit Kristina-Pia Hofer (Universität für angewandte Kunst Wien) koordinieren. Das ÆSR Lab – Applied/Experimental Sound Research Laboratory beschäftigt sich u.a. mit gegenwärtigen Fragestellungen der Zugänglichkeit und Teilhabe einer breiteren Öffentlichkeit sowie dem Potenzial künstlerischer (Er-)Forschung in und von Archiven.

 


Jasemin Khaleli ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Kooperationsprojekt ÆSR Lab – Applied/Experimental Sound Research Laboratory im Bereich Koordination und Konzeption.

 

Literatur:                              

Ebeling, Knut (2022). Die Lücken der Archive. Dekoloniale Neueingänge in die Archivtheorie. In: Zukunftsressource Archiv. Kunst als Medium von Erinnerung und Imagination, Kunstforum International 280, www.kunstforum.de/artikel/die-luecken-der-archive/.

Lange, Britta (2018). Archiv. In: Daniel Morat, Hansjakob Ziemer (Hrsg.), Handbuch Sound, 236-241.

Stoler, Ann Laura (2002). Colonial archives and the arts of governance. In: Archival Studies 2, 87-109.