28.08.2024 | Quantenphysik

„Quantenjubiläum“: ÖAW-Institute in Innsbruck und Wien werden 20

Präsident Faßmann: „ÖAW hat wesentlich dazu beigetragen, Österreich zum Land der Quanten zu machen.“

Die österreichische Quantenforschung befindet sich seit Jahren auf der Überholspur. Dass heimische Quantenforscher:innen weltweit zur Avantgarde des Fachs zählen, hat auch mit der herausragenden Infrastruktur im Land zu tun. Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) betreibt in Innsbruck und Wien quantenphysikalische Grundlagenforschung, die nun ein rundes Jubiläum begeht: Vor 20 Jahren wurde das Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) gegründet, in enger Anbindung an die Universitäten in Innsbruck und Wien. Seitdem erforscht man die Grundlagen der Quantenphysik und denkt sie weiter bis zur Anwendung.

„Österreich hat eine weltweit führende Rolle in der Quantenforschung eingenommen. Das hat der Nobelpreis an Anton Zeilinger deutlich gemacht“, sagt ÖAW-Präsident Heinz Faßmann: „Eine solche Spitzenposition in der internationalen Forschung fällt nicht vom Himmel. Zeilinger genauso wie seine Innsbrucker Kollegen Rainer Blatt, Hans Briegel, Rudolf Grimm und Peter Zoller haben über Jahrzehnte Herausragendes in der theoretischen und experimentellen Physik geleistet. Und sie haben als Lehrer die nächste Generation der österreichischen Quantenforschung mitaufgebaut. Wichtig für diesen Erfolgskurs war und ist ein exzellenter Ort, an dem die besten Köpfe mit der besten Infrastruktur die besten Ideen entwickeln können. Unsere Akademie-Institute sind so ein Ort. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, Österreich zu einem Land der Quanten zu machen.“

Pioniere der österreichischen Quantenphysik

Ein Blick zurück: Anton Zeilinger war es, der 1997 in der Fachzeitschrift Nature eine Arbeit über die erste Teleportation eines Teilchens veröffentlicht hatte. Weitere Weltrekorde in der Quantenverschränkung folgten. In Innsbruck wurden erste Grundlagen für den Quantencomputer gelegt.

Peter Zoller machte mit seinem Kollegen Ignacio Cirac 1995 erstmals den Vorschlag zur Realisierung eines Quantencomputers mittels Ionen in Paul-Fallen, Rainer Blatt konstruierte im Labor die Grundbausteine eines solchen Computers. Rudolf Grimm wiederum realisierte 2003 das weltweit erste Bose-Einstein-Kondensat aus Cäsiumatomen, was neue Einblicke in die quantenmechanischen Eigenschaften von Atomen ermöglichte. Das Gründungsteam der wissenschaftlichen Instituts-Direktoren wurde verstärkt durch Hans Briegel, der mit der Idee für Quantenrepeater die Basis für ein zukünftiges Quanten-Internet legte.

Nächste Generation blickt in die Zukunft

Heute wird in Innsbruck und Wien weiter Pionierarbeit an der Weltspitze geleistet – mittlerweile in elf Forschungsgruppen, Schulter an Schulter mit den nächsten Generationen der Quantenphysik. Die Forschung kreist aktuell um die offenen Fragen des Fachs, von neuen Quantenzuständen der Materie bis hin zu den philosophischen Grundlagen der Quantenphänomene, die oftmals dem Alltagsverständnis widersprechen. Am ÖAW-Institut in Wien wurde kürzlich ein neuer Forschungsschwerpunkt zur Quantenphysik von Gravitation und Raumzeit etabliert, um die Schnittstelle zu Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie und der Rolle von Raum und Zeit in der Quantentheorie zu untersuchen. Denn: Bis heute ist unbekannt, ob die Gesetze der Quantenphysik auch für die Schwerkraft gelten.

In Innsbruck arbeitet man daran, die Grenzen des Verständnisses in der Quantenoptik, Quantensimulation und Quanteninformation zu erweitern, was bereits zu bedeutenden Forschungsergebnissen geführt hat, etwa der Identifizierung exotischer supersolider Materiezustände oder der Kontrolle von sogenannten Vielteilchen-Dunkelzuständen. "Die Synergie zwischen Theorie und direktem Experiment ist ein besonderes Markenzeichen unseres Forschungsansatzes. Innerhalb unseres Instituts fördern wir kollaborative Strukturen und den Austausch von Ideen zwischen den Gruppen, wodurch eine sehr lebendige und effektive Forschungsumgebung entsteht", sagt Francesca Ferlaino, die seit 2014 dem Institut als Wissenschaftsdirektorin angehört.

Dass der wissenschaftliche Weg der ÖAW-Institute vielversprechend ist, zeigen nationale und internationale Auszeichnungen, wie die Beteiligung am Exzellenzcluster des Wissenschaftsfonds FWF oder die Grants des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC) an IQOQI-Forscher:innen wie zum Beispiel zuletzt an Francesca Ferlaino, Oriol Romero-Isart, Markus Aspelmeyer, Gerhard Kirchmair und Hannes Pichler.

Erfolgsfaktor “out-of-the-box”-Denken

„Wir haben eine Atmosphäre geschaffen, in der unkonventionelles Denken explizit erlaubt ist und gefördert wird. Es ist wichtig, ‚out-of-the-box‘ zu denken“, sagt Markus Aspelmeyer, geschäftsführender Direktor am IQOQI Wien. „Ein wesentlicher Faktor dabei ist für uns die Nachwuchsarbeit. Wir unterstützen mehrere Juniorgruppen, die bis zu fünf Jahre unabhängig bei uns forschen und von dem einzigartigen Umfeld für ihre zukünftige Karriere profitieren.“ Zwei Beispiele dafür: Marcus Huber vom IQOQI Wien leitet inzwischen das Atominstitut der TU Wien, Oriol Romero-Isart vom IQOQI Innsbruck ist Direktor des ICFO in Barcelona geworden, eines der führenden Quantenforschungseinrichtungen Spaniens.

„Das IQOQI hat in den vergangenen Jahren international große Sichtbarkeit erlangt und wurde zum Vorbild für viele ähnliche Institute in der ganzen Welt. Als Aushängeschild der österreichischen Quantenforschung bietet es nicht nur ideale Bedingungen für die Grundlagenforschung in diesem zukunftsweisenden Gebiet, es zieht auch viele herausragende Köpfe an, als Studierende, Gastforschende und Mitarbeiter:innen. Das ist ein ganz wichtiger Faktor des Erfolges“, sagt Rudolf Grimm, derzeit geschäftsführender Direktor des IQOQI Innsbruck.

Hohes Wirtschaftspotential

Quantenphysik steckt heute längst nicht mehr in den Kinderschuhen der Grundlagenforschung sondern in vielen Anwendungen wie Lasern, Magnetresonanztomographen, GPS oder Handys. „Und davon profitieren wir alle“, sagt Gerhard Kirchmair, ab September geschäftsführender Direktor des IQOQI Innsbruck. „Mit der aktuellen Forschung schaffen wir die Grundlagen für neuartige Quanten-Technologien.“

Diese Grundlagen-Arbeit übersetzt sich zunehmend in neue wirtschaftliche Anwendungen. Mehrere Start-Ups und Spin-Offs sind aus der Quantenforschung an der ÖAW hervorgegangen, darunter ParityQC, qtlabs und Alpine Quantum Technologies (AQT). ParityQC ist das erste und einzige Quantenarchitektur-Unternehmen der Welt im Bereich Quantencomputing, qtlabs kümmert sich um die technische Umsetzung von Quantenverschlüsselung und AQT hat den aktuell leistungsstärksten Quantencomputer Europas entwickelt.

„Dass aus ‚blue-sky research‘ völlig neue Technologien entstehen, ist immer wieder atemberaubend zu sehen. Gleichzeitig erlauben uns diese Entwicklungen, bislang unzugängliche Forschungsfragen zu adressieren“, sagt Caslav Brukner, wissenschaftlicher Direktor am IQOQI Wien. „Unsere Forschung widmet sich den fundamentalsten Fragestellungen der modernen Physik – und könnte eines Tages wieder Ausgangspunkt für die nächste Quantenrevolution sein.“

Buntes Jubiläumsprogramm

Die zahlreichen Erfolge werden zum runden Jubiläum gemeinsam mit der Fachwelt und der Öffentlichkeit gefeiert. Die beiden ÖAW-Institute veranstalten eine Sommerschule, zwei Konferenzen und bei einem Tag der Offenen Tür am 20. September können Besucher:innen das IQOQI Innsbruck kennenlernen.

20 Jahre IQOQI - die Meileinsteine

1995

Quantencomputer: Teil eins des Fundaments

In Innsbruck erarbeiteten Peter Zoller und Ignacio Cirac den ersten umfassenden Bauplan für einen Quantencomputer mit gefangenen Ionen. Ihre theoretische Arbeit gilt als eine der Grundlagen für die Entwicklung von Quantencomputern, an der sich inzwischen auch zahlreiche Unternehmen weltweit beteiligen.
1997

Quantenverschränkung: Teil zwei des Fundaments

In einem bahnbrechenden Experiment zur Quantenverschränkung gelang es Anton Zeilinger in Innsbruck erstmals, den exakten Quanten-Zustand eines Teilchens A auf ein entferntes Teilchen B zu übertragen. Der Versuch gilt als Geburtsstunde der experimentellen Quantenteleportation.
2003

Gründung des IQOQI

Um die Dynamik der heimischen Quantenphysik zu festigen, rief die ÖAW 2003 das Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) ins Leben. Rund um die Gründungsdirektoren Rainer Blatt, Rudolf Grimm, Hans Briegel, Peter Zoller und Anton Zeilinger wurde 2004 an den beiden Standorten in Innsbruck und Wien die Forschung aufgenommen - der Startschuss für Jahrzehnte aufsehenerregender Quantenphysik.

2004

Fermionen-Kondensat

Ein erstes Forschungs-Highlight des noch jungen Instituts stellte die Erforschung des sogenannten Fermionen-Kondensats dar, die Forscher:innen rund um Rudolf Grimm in Innsbruck gelang. Das renommierte Wissenschaftsmagazin „Science“ wählte die Arbeit zu einem der zehn bedeutendsten wissenschaftlichen Durchbrüche des Jahres.
2005

Erstes Qubyte

In der Entwicklung von Quantencomputern sorgten Innsbrucker Forscher:innen rund um Rainer Blatt 2005 international für Aufsehen: Indem sie acht Ionen kontrolliert miteinander verschränken, realisierten sie das erste Quantenbyte (Qubyte).
2009

Makroskopische Quantenphysik

Wiener Forscher:innen um Markus Aspelmeyer konnten 2009 erstmals eine Wechselwirkung zwischen Licht und Mikromechanik erzeugen, die stark genug ist, um Quanteneffekte zu übertragen. Die im renommierten Magazin „Nature“ veröffentlichte Arbeit wurde international als bedeutender Schritt bei den Bemühungen, Quantenphysik mit dem Makrokosmos in Verbindung zu bringen, wahrgenommen.
2014

Hedy Lamarr Teleskop

Der im Jahr zuvor auf dem Dach des IQOQI in Wien installierte „Vienna Quantum Space Link“ wurde unter der Ägide von Anton Zeilinger zu Ehren der großen österreichischen Erfinderin als „Hedy Lamarr Teleskop“ eingeweiht. Das Teleskop dient als Bodenstation, die in einer Quantenkommunikationsverbindung mit Satelliten im Orbit steht.
2016

Quantensimulation

Forscher:innen rund um Rainer Blatt und Peter Zoller simulierten auf einem Quantencomputer in Innsbruck die spontane Entstehung von Elektron-Positron-Paaren aus dem Vakuum. Das äußerst komplexe Experiment demonstrierte das Potenzial, das in Quantensimulationen für die Erforschung der Wechselwirkungen zwischen elementaren Teilchen liegt und wurde vom Fachmagazin „Physics World“ zu einem der bedeutendsten physikalischen Durchbrüche ausgezeichnet.
2017

Quantentelefonat zwischen Wien und Peking

Nachdem sie die Distanz von Quantenverschränkung immer weiter vergrößert hatten, setzten Forscher:innen rund um Anton Zeilinger 2017 einen besonderen Meilenstein: In einem Live-Experiment wurde mithilfe eines Satelliten das erste „Quantentelefonat“, ein mit Quantentechnologie verschlüsseltes Videogespräch, zwischen Wien und Peking geführt. Der erfolgreiche Versuch sorgte weltweit für Schlagzeilen und verdeutlichte das Potenzial von Quantentechnologien.
2019

Suprasolidität

Eine Innsbrucker Forschungsgruppe rund um Francesca Ferlaino fand in Erbium- und Dysprosiumgasen erstmals Hinweise für die sogenannte Suprasolidität, ein Zustand, in dem Materie sowohl supraflüssige als auch kristalline Eigenschaften besitzt. Das Magazin „Physics“ der American Physical Society kürte diese Entdeckung zu einem der physikalischen Highlights des Jahres.
2022

Physik-Nobelpreis an Anton Zeilinger

Anton Zeilingers bahnbrechende Forschungen auf dem Gebiet der Quantenverschränkung und Quantenkommunikation wurden nach unzähligen anderen Ehrungen 2022 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Der langjährige Direktor des IQOQI Wien und damalige Präsident der ÖAW steht damit in einer Tradition der größten österreichischen Physiker wie Erwin Schrödinger oder Wolfgang Pauli, die den bedeutendsten Wissenschaftspreis der Welt entgegennehmen durften.