20.09.2024 | Habsburgermonarchie

Wie Wien das Hochwasser bekämpfte

Die Geschichte des Hochwassers in Wien ist fast so alt wie die Geschichte der Stadt selbst. Vor der Donauregulierung im 19. Jahrhundert kam es häufig zu verheerenden Überschwemmungen. ÖAW-Historiker Richard Kurdiovsky erzählt im Interview, wie Wien sich zur hochwassersicheren Stadt entwickelte.

Dieser Kupferstich aus dem Jahr 1830 zeigt eine Überschwemmung im heutigen 9. Wiener Gemeindebezirk (Eduard Gurk, "Denkmahl edler hochherziger Gesinnungen und Handlungen", 1830 © Wien Museum).

Wien war jahrhundertelang von Überschwemmungen betroffen. Vor allem das Donau-Hochwasser 1862 war ein einschneidendes Ereignis, so ÖAW-Architekturhistoriker Richard Kurdiovsky vom Institut für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Es gab den Anstoß, bei der Donauregulierung auch den Hochwasserschutz mitzudenken.

Wien war in vergangenen Jahrhunderten oft von Überschwemmungen betroffen. Wie war die Hochwassersituation in der Stadt damals?

Richard Kurdiovsky: Die Donau war bei Wien ursprünglich ein riesiges Augebiet, das bis an die Stadtmauern gereicht hat. Sie war auch immer ein Schifffahrtsweg. Die Strecke, die die Donau durch das heutige Wiener Stadtgebiet zurückgelegt hat, war viel länger als sie das heute ist, weil sie sich geschlängelt hat. Die Ausgangsüberlegung für die Donauregulierung in der Mitte des 19. Jahrhunderts war daher vor allem eine wirtschaftliche, um den Schifffahrtsverkehr und den Handelsverkehr auf der Donau zu beschleunigen, zu erleichtern und um sichere Hafenanlagen zu schaffen. Als die Pläne dafür schon ausgedacht werden, die Ringstraße sich schon im Bau befindet und Wien zur Metropole wird, kommt es 1862 zu einem derart zerstörerischen Hochwasser, das auf einmal nun auch der Hochwasserschutz für die Wiener Stadt dazu kommt.

Viel Stadtgebiet wurde bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts regelmäßig unter Wasser gesetzt.

Das heißt, wirtschaftliche Überlegungen waren schon immer ein wichtiger Aspekt beim Hochwasserschutz?

Kurdiovsky: Genau. Ungefähr dort, wo die Rossauer Kaserne heute ist bis hinunter zur Innenstadt waren die alten Fischmärkte, die Holzstapelplätze etc. wo Material über die Donau in die Stadt hinein geliefert werden konnte. Das heißt, es war wirtschaftlich sehr wichtig, dass dieser Wasserweg gut befahrbar ist, funktioniert und nicht durch Hochwasser außer Kraft gesetzt wird. Und dann liegen natürlich dort die Siedlungsgebiete relativ tief. Viel Stadtgebiet wurde dort bis in die Mitte des 19 Jahrhunderts regelmäßig unter Wasser gesetzt.

Die Donauregulierung

Wie kam es zur Donauregulierung?

Kurdiovsky: 1869 hat man ein Gesetz erlassen, dass die Donau reguliert werden soll. Das ist also von höchster staatlicher Stelle ausgegangen. Die Donauregulierungskommission wurde gegründet und war im Innenministerium angesiedelt (genauso wie ja auch die Anlage der Ringstraße). Der Innenminister war quasi der Schirmherr über jede Entscheidung, die da in der Reichshaupt und Residenzstadt Wien baulich gefällt wurde. Innerhalb von wenigen Jahren war die Donau durchstochen und konnte 1875, wenige Jahre nach der Wiener Weltausstellung, eröffnet und in Betrieb genommen werden.

Zu dieser Zeit wurden schon Weltmeere miteinander verbunden.

Wie wurde das technisch umgesetzt?

Kurdiovsky: Ja, wie gräbt man einen Kanal bei einem fließenden Fluss? Man hat die Strecke, die die Donau heute durch die Stadt zurücklegt, planerisch in zwei Teile geteilt. Im oberen Teil, von Nußdorf bis ungefähr zur heutigen Reichsbrücke, hat man das komplette neue Flussbett ausgehoben. Ab dieser Hälfte bis hinunter in die Lobau hat man nur mehr einen vergleichsweise schmalen Graben ausgehoben und dann die Damm-Sperrungen zwischen diesen beiden Abschnitten schrittweise abgebaut. Das einfließende Wasser hat dann dafür gesorgt, dass sich die Donau quasi selber ihr Bett freischaufelt – oder besser: freischwemmt. Das zeigt, dass man im 19. Jahrhundert sehr komplexe Planungsprozesse gesteuert und sich den optimale Energieaufwand für das maximale Ergebnis genau überlegt hat.

War man damit seiner Zeit voraus?

Kurdiovsky: Wasserbaumaßnahmen gibt es damals schon seit längerer Zeit. Das ganze industrialisierte Gebiet von Großbritannien ist durch schmale Kanäle durchzogen, die seit dem 18. Jahrhundert vor allem zum Warentransport, zum Anliefern von Kohle usw. gedient haben. Man hat das im frühen 19. Jahrhundert auch in Europa übernommen. In der 2. Jahrhunderthälfte, als der Donaudurchstich und die Wienflussregulierung stattfinden, gibt es weltweit bereits riesige Wasserbauprojekte wie den Suezkanal, der das Mittelmeer mit dem Roten Meer verbindet. Zu dieser Zeit wurden also schon Weltmeere miteinander verbunden.

Die unterirdischen Wasser Wiens

In Wien wird das Hochwasser auch unterirdisch abgeleitet. Welche Strukturen schützen da die Stadt?

Kurdiovsky: Bekannt ist doch der Film „Der dritte Mann“ mit wilden Verfolgungsjagden durch das unterirdische Wien und seine Kanalisation. Es gibt dort gigantische Hallen, die bei einem Hochwasser mit starken Regenfällen verhindern sollen, dass das Schmutzwasser aus der Kanalisation ungehindert in den Wienfluss einströmt. Da gibt es riesige Rückhaltebecken, wo das verschmutzte Abwasser aufgefangen wird, mit dem eindringenden Hochwasser immer mehr verdünnt wird und dann erst ablaufen kann.

Der Wienfluss wurde zur großen, stinkenden Kloake. 

Beim aktuellen Hochwasser war vor allem der Stand des Wienflusses ungewohnt hoch. Welche Rolle spielte der Wienfluss schon früher bei Hochwasser?

Kurdiovsky: Der Wienfluss hat starke Differenzen beim Wasserpegel. Zu normalen, trockenen Sommerzeiten ist er ein kleines Rinsal, aber wenn es einmal regnet, rinnt das Wasser wegen der besonderen Beschaffenheit des Bodens mehr oder weniger aus dem gesamten Wienerwaldgebiet in die Wien. In der Vergangenheit wurde außerdem das Abwasser aus der Stadt direkt in den Fluss gelassen, der dann zur großen, stinkenden Kloake wurde. Das war auch ein Problem bei Hochwasser. Denn weit bis ins 19. Jahrhundert wurden die Haushalte in Wien meistens über Hausbrunnen versorgt. Bei jedem Hochwasser ist das Grundwasser in den Brunnen entsprechend angehoben worden. Je näher man am Wienfluss gelebt hat, desto stärker waren die Brunnen nach einem Hochwasser verschmutzt. Das hat auch zu Krankheiten geführt.

Wie ist man dagegen vorgegangen?

Kurdiovsky: Schon 1781 gab es die ersten Regulierungsentwürfe für den Wienfluss, um Kanalisationsanlagen zu errichten und Sammelbecken an höherer Stelle anzulegen, die man im Bedarfsfall auslässt, um den Wienfluss zu reinigen. In den 1830er Jahren ist dann ein Projekt tatsächlich realisiert worden, das waren die sogenannten Cholerakanäle, damit kein Abwasser mehr direkt in den Fluss gelangte.

Von Bodenversiegelung bis Renaturierung

Heute wird – vor allem im Kontext der Klimakrise – viel über Bodenversiegelung gesprochen. Gab es damals dafür schon ein Bewusstsein?

Kurdiovsky: Ja, nur nicht aus unserer heutigen Perspektive. Es war den Planern des 19. Jahrhunderts vollkommen selbstverständlich, dass versiegelte Flächen kein Wasser mehr aufnehmen können. Man hat die Stadt deswegen genau klassifiziert in dicht und weniger dicht bebaute Gebiete, um je nachdem die Kanalisationen größer oder kleiner zu dimensionieren.

Die ökologischen Folgen, die wir heute erleben können, waren damals noch weniger präsent.

Wie sieht es mit dem Thema Renaturierung aus historischer Perspektive aus?

Kurdiovsky: In den historischen Texten zwischen 1900 und 1910 kommt der Begriff „Renaturierung“ nicht vor, auch weil die unverbauten und naturbelassenen Räume noch viel, viel größer waren als heute. Sehr wohl beginnt in der Zeit aber der sogenannte „Heimatschutz“. Das war eine Bewegung, die im ausgehenden 19. Jahrhundert entsteht und vor allem von Künstlern, Musikern und Schriftstellern ausgeht (der Komponist und Kulturreformer Ernst Rudorff beispielsweise prägte den Begriff in seinen Schriften bereits 1897). Diese Menschen bemerken, wenn sie einen Spaziergang übers Land machen, dass die Dörfer immer hässlicher würden, weil dort neu gebaut werde, und zwar mit den damals modernsten Baumaterialien und Konstruktionsformen, die mit den lokalen Bautraditionen nichts mehr zu tun hätten: Alte Bauernhäuser verfallen und daneben werden Mietskasernen gebaut. Man bemerkt, dass Telegraphenleitungen und Telefonverbindungen zwar die einfache Kommunikation von einem Ort zum anderen ermöglichen, aber oberirdisch quer durch die Landschaft laufen - und auf einmal stehen technische Geräte in der Landschaft, die nicht so schön sind wie eine natürlich gewachsene Baumgruppe. Da wird also rein ästhetisch argumentiert. Die ökologischen Folgen, die wir heute erleben können, waren damals noch weniger präsent.

 

AUF EINEN BLICK

Eine interaktive Karte des Donauverlaufes über die Jahrhunderte finden Sie hier unter „Stadtgeschichte“ > „historische Landschaftsentwicklung“.

Richard Kurdiovsky ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsbereich Kunstgeschichte des Instituts für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes (IHB) und seit Dezember 2023 auch dessen interimistischer Leiter. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Wiener Hofburg im 19. Jahrhundert, zentraleuropäische Architektur vor allem des 19. und 20. Jahrhunderts sowie urbane Kulturen der Habsburgermonarchie.