14.08.2024 | Taylor Swift-Konzerte

Swifties: vereint gegen den Terror

Die geplanten Anschläge gegen die Konzerte von Taylor Swift in Wien sorgten weltweit für Entsetzen und lösten zugleich eine Welle der Solidarität aus. ÖAW-Kulturforscher Martin Tschiggerl erklärt, wie mutig gesellschaftliche Reaktionen auf Terroranschläge mitunter ausfallen können.

Die Community der "Swifties", Fans des US-Popstars Taylor Swift, gilt als besonders liberal und solidarisch. © Shutterstock

Die verhinderten Anschläge gegen drei Konzerte von Taylor Swift in Wien und die darauffolgende Absage der Events sorgten bei den aus aller Welt angereisten Fans des US-Popstars für Schock und große Enttäuschung. In der nationalen wie internationalen Medienlandschaft verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer, die eingeschworene Community der "Swifties", der Anhänge Taylor Swifts, teilte ihre Bestürzung auf den sozialen Netzwerken - und vor Ort in Wien.

Mit zahlreichen spontan organisierten Feiern zelebrierten sie ihr Idol, auch ohne Swift diesmal im Konzert erlebt zu haben. Rasche Unterstützung kam auch von Einrichtungen wie Museen, die insbesondere den von weither angereisten Tourist:innen mit vergünstigten Angeboten oder kulanten Rückerstattungen etwas Trost spendeten. Das Ausmaß dieser Solidarität zwischen und für die Betroffenen überraschte viele, ist aus der Erfahrung von Terroranschlägen aber nichts Ungewöhnliches. Das bestätigt der Historiker Martin Tschiggerl vom Institut für Kulturwissenschaften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) im Gespräch, der vergleichbare gesellschaftliche und mediale Dynamiken bereits bei seinen Forschungen zum Terroranschlag in Wien im Jahr 2020 nachweisen konnte.

Solidarität nach abgesagten Konzerten

Terrorismus will die Gesellschaft destabilisieren. Hat das im Falle der geplanten Anschläge gegen die Taylor Swift-Konzerte geklappt?

Martin Tschiggerl: Einerseits ist zu sagen, dass Terroranschläge oder die Angst vor ihnen auch darauf abzielen, ein Gefühl der Unsicherheit und des Schreckens zu erzeugen. Ob das eingetreten ist, lässt sich derzeit noch nicht sagen, dazu ist es noch zu früh. Andererseits ist aber zugleich zu beobachten, dass terroristische Handlungen auch ein Gefühl von Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit hervorrufen können. Also dass gerade die gegenteilige Wirkung eintritt. Dies konnten wir beispielsweise beim Terroranschlag in Wien 2020 sehr stark beobachten.

Die Community der Swifties steht eng zusammen.

Nach der Absage der Konzerte von Taylor Swift entstand rasch eine große Welle der Solidarität unter und gegenüber den Swifties. Wie lässt sich das erklären?

Tschiggerl: Es ist generell so, dass die Community der Swifties eng zusammensteht. Sie lebt das Gefühl der Zusammengehörigkeit sehr stark. Dieses Gemeinschaftsgefühl tritt gerade bei ihren Konzerten zutage, die ihre Fans als safe spaces verstehen, in denen sie unter Gleichgesinnten sind und füreinander einstehen. Das Bekanntwerden der Terrorpläne und die Absage der Konzerte könnten daher speziell in dieser Community als Katalysator fungiert haben, indem sie dieses Verständnis von Gemeinsamkeit sogar noch verstärkten.

In anderer Hinsicht hat auch die Stadt Wien ihre Marketingchancen erkannt, etwa indem sie verbilligte Eintritte in Museen und in die Wiener Bäder angeboten hat. Der Werbewert dürfte die Kosten hier bei weitem übertreffen.

Nach den Terrorplänen gegen die Konzerte von Taylor Swift in Wien konnten wir nun auch wieder Rückgriffe auf #schleichdiduoaschloch beobachten.

Nach dem Terroranschlag in Wien im Jahr 2020 kam es, speziell unter dem Hashtag #schleichdiduoaschloch, auf den sozialen Medien zu zahlreichen Solidaritätsbekundungen. Können Terroranschläge den gesellschaftlichen Zusammenhalt sogar stärken, anstatt ihn zu schwächen?

Tschiggerl: Sehr viele Studien zu diversen Terroranschlägen in Europa, von Frankreich über Belgien, England und Deutschland, haben gezeigt: Ein gemeinsames traumatisches Ereignis kann speziell auf sozialen Netzwerken Gemeinschaften entstehen lassen, die höchst solidarisch agieren. Man muss dazu den Anschlag nicht einmal in Person erlebt haben, sondern kann auch nur über die mediale Berichterstattung betroffen sein. Auf den sozialen Medien kann so ein geteilter Raum mit gemeinsamer Teilhabe geschaffen werden, in dem dann auch gemeinsame Narrative entstehen. Diese Erzählungen sind oft positiver als man glauben möchte.

Genau das hat #schleichdiduoaschloch so besonders gemacht, ein typisches Wiener Narrativ, das perfekt zur Stadt gepasst hat – und passt: Nach den Terrorplänen gegen die Konzerte von Taylor Swift in Wien konnten wir nun auch wieder Rückgriffe auf #schleichdiduoaschloch beobachten. Es wurde wohl wieder aufgegriffen, weil es eben so typisch wienerisch ist: stoisch im Moment der Krise und zugleich mit einem gewissen Augenzwinkern.

Es geht um die mediale Aufmerksamkeit.

Es gab im Sommer, etwa vor dem Hintergrund der Olympischen Spiele und der Fußball-Europameisterschaft, in ganz Europa eine große Sorge vor Terroranschlägen.  Sind feiernde Menschen ein bevorzugtes Ziel von Terrorist:innen?

Tschiggerl: Vielleicht gibt es auch eine ideologische Komponente, dass sich Terrorist:innen an feiernden Menschen stören. Ich glaube aber, es geht weniger um die Tatsache des Feierns, sondern um die mediale Aufmerksamkeit. Man sieht ja, wieviel mediale Aufmerksamkeit selbst schon die vereitelten Anschläge gegen die Konzerte international erzeugt haben. Das ist also primär eine Frage der Aufmerksamkeitsökonomie, um einen möglichst weit sichtbaren Schrecken zu erzeugen. 

Taylor Swift: politisch relevante Popmusik

Dass Taylor Swift mit ihrer riesigen Fancommunity ein gewichtiger Faktor im US-Wahlkampf werden dürfte, ist absehbar. Aber hat Sie überrascht, wie schnell und massiv die politischen Parteien in Österreich die Terrorpläne und abgesagten Konzerte als Thema aufgegriffen haben?

Tschiggerl: Das hat mich nicht überrascht. Auch das sehe ich als eine Frage der medialen Aufmerksamkeitsökonomie: Man kann mit der Popularität von Taylor Swift sehr gut Politik machen. Sowohl im positiven Sinn, indem man das Gemeinschaftsgefühl nützt oder um etwa den Standort zu promoten. Aber auch im negativen Sinn, um beispielsweise Stimmung für Maßnahmen zur Einschränkung unserer Freiheiten, für populistische, ausländer- oder islamfeindliche Politik zu machen.

Taylor Swift ist als starker politischer Faktor besonders spannend. Sie hat beispielsweise in der Vergangenheit in den USA aufgerufen, sich für das US-amerikanische Wahlregister registrieren zu lassen, um wählen gehen zu dürfen. Das hat umgehend zu Rekordwerten bei den Registrierungen geführt. Swift ist deswegen so ein starker politischer Faktor, weil sie so eine große Reichweite hat, die von ihren Fans noch weiter verstärkt wird. Ihre Fans und sie nutzen die Möglichkeiten, die ihnen das digitale Zeitalter bietet, geradezu idealtypisch.

Ist Taylor Swift ein Ausnahmefall, was die politische Relevanz von Popmusik betrifft?

Tschiggerl: Die politische Relevanz von Popmusik ist eher die Regel als ein Ausnahmefall. Wenn wir zum Beispiel die 1960er Jahre betrachten, waren die Protestbewegungen untrennbar mit der Popmusik der damaligen Zeit verbunden. Das liegt aus meiner Sicht am großen mobilisierenden Potenzial der Popmusik: Menschen können Musik sehr gut nutzen, um sich darüber auszudrücken. Folglich gibt es auch viele Beispiele, wie Protestbewegungen Lieder und auch Musik vereinnahmt haben, um dann noch mehr Aufmerksamkeit zu generieren.

Die Populärkultur hatte gerade in den deutschsprachigen Geistes- und Sozialwissenschaften lange einen zu Unrecht schlechten Ruf – denken wir an das Schlagwort der "Kulturindustrie". Dabei wurde aber häufig ausgeblendet, was denn die Menschen selbst mit diesen kulturellen Erzeugnissen machen. Die angelsächsischen "cultural studies" haben früh darauf fokussiert und gerade auch auf die Seite der Rezipient:innen geblickt.  

 

Auf einen Blick

Martin Tschiggerl ist Historiker und seit 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturwissenschaften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).