02.12.2022 | Filmgeschichte

Stalingrad als Melodram

Der Kampf um Stalingrad, der mit der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht am 2. Februar 1943 militärisch endete, jährt sich gerade zum 80. Mal. Im Kino ist das historische Ereignis zur universalen Schlacht stilisiert worden. Der Musikhistoriker Stefan Schmidl und der Kunsthistoriker Werner Telesko, die beide an der ÖAW forschen, untersuchen nun in ihrem neuen Buch „Die ewige Schlacht“, wie Bild und Musik diese Stilisierung erzielt haben und welche Rolle das Melodramatische dabei spielte.

Die Schlacht von Stalingrad, die mit der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht am 2. Februar 1943 militärisch endete, ist seitdem der Stoff zahlreicher Filme, die es mit der historischen Wahrheit zumeist nicht so genau nehmen. © Alamy

Kriegsfilme werfen stets einen Schatten auf die Gegenwart. „Sie sind natürlich ein Spiegel der jeweils herrschenden Machtverhältnisse“, sagt der Musikhistoriker Stefan Schmidl, der gemeinsam mit dem Kunsthistoriker Werner Telesko ein Buch dazu geschrieben hat. In „Die ewige Schlacht. Stalingrad-Rezeption als Überwältigung und Melodram“ werden Stalingrad-Filme analysiert, die zwischen 1943 und 2013 entstanden sind. Den Produktionen ist vor allem eines gemeinsam – die bewusste Anwendung des Melodramatischen.
Im Gespräch erklären die Autoren, die an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) forschen, wie unterschiedlich die Erinnerung in Deutschland und Russland funktioniert, welche Mythen aber fast alle Verfilmungen bedienen (Stichwort: „ewiger Winter“).

DICHTUNG UND WAHRHEIT

Welche Filme haben sie untersucht?

Stefan Schmidl: Es gibt sowjetische, US-amerikanische sowie west- und ostdeutsche Filme mit höchst unterschiedlichen Perspektiven und Ideologisierungen. Eine Gemeinsamkeit aber ist die Form des Melodramas. Emotionalisierung und eine gefühlvolle Erzählung werden in Kontrast zu den Kampfhandlungen gesetzt.

Werner Telesko: Filme nach 1945 blenden häufig zeitgenössische, dokumentarische Szenen ein, um erklärend zu wirken. Gleichzeitig hatte man zu keiner Zeit Skrupel, das Melodramatische und das Dokumentarische zu mischen.

Man hatte zu keiner Zeit Skrupel, das Melodramatische und das Dokumentarische zu mischen.

Wie hat sich das Bild im Laufe der Jahre verändert?

Telesko: Es gibt eine Widerständigkeit der Filme neuen historischen Erkenntnissen gegenüber. Anfang der 1990er-Jahre gab es dank Hugo Portisch im ORF eine unglaubliche Konjunktur des Themas Zweiter Weltkrieg. Die Stalingrad-Filme aber sind keine Lehrstunde im Kinosaal, sondern schreiben weiter, was als Emotionalisierung und Romantisierung in der Nachkriegszeit üblich war. Es ist fast befremdlich, wie da Geschichtsklitterung betrieben wird. Mit Schauspielern wie Joachim Fuchsberger und Hardy Krüger, die ein positives Image hatten und haben, wurde filmisch zum Teil sehr gefährlich die Westbindung der Bundesrepublik in der Adenauer-Zeit fortgeschrieben. Die Russen wurden dabei als nach wie vor real existierende Feinde wahrgenommen. So bildeten diese Filme auch eine Propaganda zur Unterstützung der Wiederbewaffnung Deutschlands.

Man erzählt also auch immer über die Gegenwart mit der Referenz auf Stalingrad?

Schmidl: Die Filme sind natürlich ein Spiegel der jeweils herrschenden Machtverhältnisse. Das lässt sich unschwer an den Produktionen der Stalin- und Breschnew-Ära ablesen, aber auch etwa am Stalingrad-Film des Russen Fjodor Bondartschuk von 2013, der Putins Geschichtsvision wiedergibt. Dabei handelt es sich um eine Deutung, die neosowjetisch ist, sich aber interessanterweise der filmischen Mittel von Hollywood bedient.

Die Filme sind ein Spiegel der jeweils herrschenden Machtverhältnisse.

Telesko: Das spielt auch beim aktuellen Ukraine-Konflikt eine zentrale Rolle: Die russischen Millionenopfer des Zweiten Weltkriegs wirken demnach in alle Ewigkeit in zukünftige politische Aktionen hinein, so Putins Lesart. Aus russischem Bewusstsein heraus war etwa die Krim seit 1941 stark umkämpft und ein strategisch wichtiger Ort. Daher, so eine russische Argumentation, gehört die Krim zum Kern des russischen Staatsgebildes.

KANONENDONNER UND KLISCHEES

Welche Arten von Musik kommen vor?

Schmidl: Es gibt Filme fast ohne Musik, wo Kanonendonner als durchaus surrealer Soundtrack eingesetzt wird. Im Kontrast dazu steht symphonische Filmmusik, die gezielt „große Gefühle“ erzeugen will. Auch der klassische Kanon spielt eine Rolle: Beethoven, Brahms, Tschaikowsky, Schostakowitsch.

Ist es nicht auch ein Klischee, dass in Stalingrad ein ewiger Winter herrscht?

Schmidl: Dieser Blick auf ein Pseudo-Sibirien hat sich verfestigt. Kaum ein Film zeigt je den Frühling nach Stalingrad.

Telesko: Das hat sicher auch mit der unglaublichen Länge dieser Schlacht zu tun, die fast kosmische Dimensionen hat. Die Natur ist hier gleichsam durch den Wintereinbruch der Gehilfe des „Guten“, um die Wehrmacht zurückschlagen zu können.

In sowjetischen Filmen sind Frauen Kämpferinnen und gleichberechtigte Figuren mit den Männern.

Kriegsfilme sind meist Männerfilme. Gibt es interessante Frauenrollen außer als Liebesobjekt und Krankenschwester?

Telesko: Frauen werden unter anderem eingesetzt, um die Maskulinität und phallisch zu bezeichnende Ikonografie der Artillerie in gewisser Weise zu entkrampfen. Sie spielen demnach eine große Rolle in Bezug auf Emotionalität.

Schmidl: In sowjetischen Filmen sind sie Kämpferinnen und gleichberechtigte Figuren mit den Männern. Da ist das Frauenbild paradoxerweise ein durchaus zeitgemäßes.

 

AUF EINEN BLICK

Stefan Schmidl ist Musik- und Kunsthistoriker und forscht am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Werner Telesko ist Kunsthistoriker und leitet die Arbeitsgruppe Habsburgische Repräsentation am Institut für die Geschichte der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Publikation:

Stefan Schmidl / Werner Telesko: Die ewige Schlacht. Stalingrad-Rezeption als Überwältigung und Melodram, 153 Seiten, zahlreiche Abbildungen, München: edition text+kritik, ISBN 978-3-96707-781-0 (erscheint am 14. Dezember 2022).