19.07.2024 | Schallforschung

Nicht nur Menschen, auch Ratten können Oktaven hören

Sie ist für Musik und Sprachentwicklung wichtig: die Fähigkeit, Noten, die in unterschiedlichen Oktaven gespielt werden, als ähnlich zu erkennen. Eine aktuelle Studie von Schallforscher:innen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften weist diese Fähigkeit jetzt nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Ratten nach – und liefert damit Hinweise, dass die sogenannte Oktaväquivalenz naturgegeben ist.

Ratten haben nicht umsonst große Ohren. © AdobeStock

Hohes C und tiefes C – liegt es in der Natur des Menschen, den Abstand von einer Oktav zu hören oder ist diese Wahrnehmung kulturell erlernt? Oktaväquivalenz, wie die Wissenschaft diese Fähigkeit nennt, spielt nicht nur in der Musik eine Rolle, sondern auch im Spracherwerb. Weil wir Töne, die durch eine Oktave getrennt sind, als ähnlich wahrnehmen, können wir Melodien unabhängig von der Tonhöhe und Laute trotz Frequenzunterschieden als zusammengehörig begreifen.

„Das muss nicht beigebracht werden, wir machen es automatisch, etwa wenn wir miteinander singen, einfach weil wir unterschiedlich hohe Stimmen haben,“ sagt Marisa Hoeschele vom Institut für Schallforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Von den zwei Tönen einer Oktav hat einer die doppelte Grundfrequenz des anderen, erklärt sie. „Ein Kind, das versucht, die Stimme eines Erwachsenen zu imitieren, greift oft auf den ersten Oberton zurück, der eine Oktave höher liegt, um die tieferen Frequenzen zu imitieren“, sagt Hoeschele.

Ratten im Experiment auf Töne trainieren

Aber wie nehmen Tiere die für uns so selbstverständliche Äquivalenz von Oktaven wahr? Das wollten die beiden ÖAW-Forscher:innen Bernhard Wagner und Marisa Hoeschele herausfinden. Die Ergebnisse sind kürzlich im Fachjournal Royal Society Open Science veröffentlicht.

Um zu untersuchen, wie Ratten auf die Töne ansprechen, spielten die Schallforscher:innen den Tieren im Labor verschiedene Noten vor. Die Nagetiere wurden mit Futter belohnt, wenn sie auf bestimmte Töne – etwa E, F, Fis und G, also die mittleren 4 Noten in einer Oktav zwischen C und H – reagierten. Anschließend spielten die Forscher:innen ihnen andere Töne, aber auch die gleichen Noten in anderen Oktaven vor.

Oktaväquivalenz bei Ratten und Delfinen nachgewiesen

Mit dem Ergebnis: Die Laborratten reagierten auch auf diese um eine Oktave versetzten Töne. Für die Wissenschaftler:innen rund um Marisa Hoeschele und Bernhard Wagner ein Hinweis darauf, dass Ratten die Töne trotz unterschiedlicher Frequenzen als ähnlich wahrnehmen. Aber warum gerade Ratten? Bereits 1943 wurde in einer Studie behauptet, dass Ratten über Oktaväquivalenz verfügen, erzählt Hoeschele. Weil die Studie aber fehlerhaft war, wurden diese frühen Ergebnisse lange Zeit angezweifelt.

Ihr Experiment im Labor legt jetzt nahe, dass Ratten durch ihre Laute miteinander kommunizieren und eine feinere akustische Wahrnehmung haben, als bisher angenommen. Hoeschele: „Ratten erzeugen klare Obertöne, die möglicherweise eine Rolle in ihrer Kommunikation spielen.“ Warum das relevant ist? „Der erste Oberton ist für alle Tiere inklusive Menschen immer eine Oktave. Wenn ein Tier eine Oktave von einem Ton nachmacht, dann auch die Hälfte der Obertöne“, erklärt Hoeschele. Diese Anlage teilen sie auch mit anderen Säugetieren wie Delfinen, wie Testungen bereits nachgewiesen haben.

Natur oder Kultur?

Und ist das bei allen Tieren so? Hoeschele und ihr Team haben das Hörempfinden bei verschiedenen Vogelarten und Weißbüscheläffchen getestet. Die Antwort: Nein. Die Experimente zeigten, dass diese Tiere über keine vergleichbare Oktaväquivalenz verfügen. Mit weiteren Forschungen, bevorzugt mit Tieren, die über verschiedene Tonhöhen verfügen, wollen die Schallforscher:innen nun klären, wie weit verbreitet diese Fähigkeit im Tierreich ist und welche evolutionären Vorteile sie bietet.

 

Auf einen Blick

Publikation

„Do rats (Rattus norvegicus) perceive octave equivalence, a critical human cross-cultural aspect of pitch perception?“ Bernhard Wagner, Juan Manuel Toro, Ferran Mayayo, Marisa Hoeschele, Royal Society Open Science 2024
DOI: dx.doi.org/10.1098/rsos.221181