Keine Ausgänge. Keine Besuche. Keine Pakete. Seit Corona haben viele Justizvollzugsanstalten die wenigen verbleibenden Freiheiten für Gefangene massiv eingeschränkt. Zu groß ist die Sorge, ein Insaße könnte sich durch Kontakt mit der Außenwelt anstecken und das Gefängnis zum Superspreader-Ort machen.
Wie Gefangene und Gefängnispersonal den Haftalltag unter verschärften Corona-Bedingungen erleben, hat Sarah Yolanda Koss in heimischen Haftanstalten recherchiert. In den Justizanstalten Josefstadt, Simmering und Göllersdorf konnte sie mit Inhaftierten, Seelsorger/innen, Psycholog/innen, Sozialarbeiter/innen und Justizanstaltsbeamt/innen rund 15 Interviews führen. Die Ergebnisse ihrer Recherchen werden als Longread und Podcast bei Mosaik erscheinen – und sie finden auch Eingang beim französischen Medienprojekt Prison Insider. Das ÖAW-Stipendium für Wissenschaftsjournalismus gab den Anstoß dazu.
Gefängnisse überbelegt
Das Gefühl eingesperrt zu sein, begleitete viele Menschen während der verschiedenen Lockdown-Phasen. Aber: Wie geht es jenen, die in Pandemiezeiten tatsächlich Gefangene sind? Was machen die rigiden täglichen Einschränkungen mit den Menschen in Gefängnissen? „Vielen ist nur noch das Telefon geblieben“, sagt Sarah Yolanda Koss, „dabei sind Gespräche via Telefon limitiert und ‚drinnen‘ deutlich teurer als ‚draußen‘.“ Deshalb wurde in einigen Justizanstalten Videotelefonie eingeführt.
Dennoch: Es fehlen Berührungen. „Ein Gefangener erzählte, dass er seit einem Jahr seinen Sohn nicht mehr in den Arm nehmen durfte“, so die Wissenschaftsjournalistin. Ein Besuch hinter Glasscheibe könne eine Umarmung aber nicht ersetzen. Die Stimmung sei sehr bedrückend. Trostlosigkeit mache sich breit: „Gefangene berichteten, dass manche nur noch die Wände anstarren würden.“
Fest steht: Strafanstalten sind in der Pandemie besonders gefährdet. Viele Menschen leben dort auf engem Raum zusammen. Für Social Distancing fehlt der Platz. Hafträume mit bis zu zehn Gefangenen sind in manchen Justizanstalten keine Seltenheit. Nicht immer konnte das Virus in den vergangenen eineinhalb Jahren ausgesperrt werden. Wiederholte Male breiteten sich CoV-Cluster in Gefängnissen aus.
Resozialisierung gefährdet
„In über 100 Ländern weltweit gab es deshalb vorzeitige Haftentlassungen, sogar in den USA und im Iran,“ erzählt Koss. In Österreich stand das nicht zur Debatte. Im Gegenteil. Hierzulande wurden Freigänge zur Arbeits- und Wohnungssuche gestrichen und es fehlen die Wochenendausgänge, die ihnen in normalen Zeiten zustehen würden. Das Problem: Ausgänge sind ein grundlegender Bestandteil der Resozialisierung. Und: Menschen nach ihrer Haft wieder in die Gesellschaft zu integrieren, ist das, was als Ziel des Vollzuges formuliert wird. „Auf längere Sicht gefährdet die Corona-Pandemie die Resozialisierung“, sagt die Journalistin.
In der Regel bekommt die Öffentlichkeit wenig vom Leben hinter den Gefängnismauern mit – und interessiert sich auch nur selten für das, was dahinter geschieht. Dass derart wenige Nachrichten aus dem Gefängnis nach draußen dringen, hat also nicht nur mit der Pandemie zu tun. Schon davor waren Außenkontakte stark reglementiert. Auch für Sarah Yolanda Koss war es anfangs nicht einfach Zugang zu bekommen. Das Stipendium der ÖAW war jedenfalls eine Art Türöffner, erzählt sie.