04.11.2022 | Erdalter

„Die Erde ist noch nicht fertig“

4,5 Milliarden Jahre. So alt ist die Erde. Zumindest ungefähr. Wie man das Alter unseres Planeten feststellen kann, warum die Erde immer noch wächst und wieso die wissenschaftliche Datierung ihres Geburtszeitpunkts bis heute angefeindet wird, erklärt der Geochemiker Klaus Mezger, der bei einem Symposium der ÖAW zum Erdalter vortrug.

Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts war das Alter der Erde weitgehend unbekannt, und die wissenschaftlichen Schätzungen, von denen keine auf stichhaltigen Prämissen beruhte, reichten von einigen Tausend bis zu Milliarden von Jahren. Heute wissen wir, dass die Erde etwa 4,5 Milliarden Jahre alt ist.

Doch woher wissen wir das? Wie ist die Erde eigentlich entstanden? Oder warum gibt es bis heute Menschen, die ihr wissenschaftlich längst belegtes Alter anzweifeln? Antworten auf diese Fragen hat der Geochemiker Klaus Mezger von der Universität Bern. Er war beim Symposium “Das Alter der Erde” zu Gast, das am 3. November 2022 von der Kommission für Geowissenschaften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) veranstaltet wurde. 

Wie Herr Mezger, wie alt ist die Erde denn jetzt?

Klaus Mezger: Den Geburtszeitpunkt der Erde können wir nicht auf die Nanosekunde festlegen. Das war ein Prozess, der sich über eine lange Zeit entwickelte. Wenn wir wissen wollen, wie alt die Erde ist, müssen wir festlegen, wann sie „fertig” war. Wir nehmen als Geburtstermin üblicherweise den Zeitpunkt, an dem der Planet 99 Prozent seiner heutigen Masse erreicht hatte. Damit ist die Erde heute 4,5 Milliarden Jahre alt, plus minus zehn Millionen Jahre. In Wahrheit fallen jährlich immer noch mehrere Tonnen Material aus dem Kosmos auf die Erde, in Form von Staub und Meteoriten. Die Erde wächst also immer noch und ist noch nicht „fertig“.

Die Kollisionstheorie ist heute Konsens. Unser Mond ist schlicht zu groß, um sich auf anderem Weg gebildet zu haben.

Es begann mit einem Crash

Wie wissen wir, dass die Erde so alt ist?

Mezger: Das älteste Material, das wir direkt datieren können, sind Zirkone, also Minerale die etwa 4,4 Milliarden Jahre alt sind. Was davor passiert ist, können wir nur indirekt ermitteln. Das hängt dann auch von unserem Modell vom Entstehen des Sonnensystems ab. Wir nehmen heute an, dass sich die Erde innerhalb von zehn bis 15 Millionen Jahren nach der Entstehung des Sonnensystems aus Staub gebildet hat. Dann ist sie mit Theya, einem etwa marsgroßen Objekt, zusammengestoßen. Dabei sind dann Mond und Erde in ihrer heutigen Form entstanden. Das erneute Aufschmelzen der Erde bei dieser Kollision erlaubt uns, chemische Berechnungen über den Zeitraum anzustellen, der seither vergangen ist. 

Gibt es alternative Entstehungsmodelle, die zu anderen Altersschätzungen führen?

Mezger: Diese Kollisionstheorie ist heute Konsens. Unser Mond ist schlicht zu groß, um sich auf anderem Weg gebildet zu haben. Zudem besteht er aus demselben Material wie der Mantel der Erde, was perfekt zur Theorie passt. Unsere Schätzung für das Alter der Erde ist also wohl ziemlich gut. 

Der Zerfall von Uran zu Blei erlaubt extrem genaue Messungen.

Gibt es einen Referenzpunkt im Sonnensystem?

Mezger: Das älteste datierte Material im Sonnensystem ist 4,567 Milliarden Jahre alt und stammt aus einem Meteoriten. Aber am Ende geht es immer um Prozesse. Materialien entstehen, werden umgeformt und wieder aufgeschmolzen. Deshalb sind wir oft auf indirekte Messungen angewiesen. Die über vier Milliarden Jahre alten Zirkone auf der Erde haben Korngrößen von weniger als einem halben Millimeter und stammen aus 2,7 Milliarden Jahre alten Sedimentgesteinen in Australien. Das älteste Gestein, das man in der Hand halten könnte, ist mit rund vier Milliarden Jahren etwas jünger und kommt aus Nordkanada. In Österreich und Europa ist der Untergrund verhältnismäßig sehr jung.

Wie bestimmt man das Alter von so alten Materialien?

Mezger: Meist nutzen wir hierfür den radioaktiven Zerfall ausgewählter Isotope. Bei Gestein etwa oft das Verhältnis zwischen Uran und Blei. Der Zerfall von Uran zu Blei erlaubt extrem genaue Messungen und weil zwei Uran und zwei Bleiisotope eine Rolle spielen, bekommen wir praktisch zwei Messungen zum Preis von einer. Daneben gibt es noch andere Zerfälle wie Lutetium zu Hafnium oder Rhenium zu Osmium. 

Das Alter der Erde als Kränkung des Egos

Wann haben wir ernsthaft begonnen, das Alter der Erde zu hinterfragen?

Mezger: Die Frage hat Wissenschaftler:innen seit jeher fasziniert. Als sich Anfang des 19. Jahrhunderts die Geologie entwickelt hat, kamen Fragen auf, für die das Erdalter hochrelevant war: Wie lange dauert es, bis sich Sedimentgesteine bilden oder ein Ozean salzig wird? Spätestens mit Darwins Evolutionstheorie war dann klar, dass lange Zeiträume gefragt waren für viele Prozesse. Das führte dann zu Reibereien mit den Kreationisten, die ein rein Bibel-basiertes Verständnis für die Entstehung der Erde und des Lebens haben und sich stark gegen die Idee einer schon Millionen Jahre alten Erde gestellt haben. Vor allem im angelsächsischen Sprachraum sind die kreationistischen antiwissenschaftlichen Bewegungen noch immer sehr stark, die in den USA übrigens schon zwei Präsidenten gestellt haben. Es kam zu Grabenkämpfen zwischen der Religion auf der einen Seite und Biologie und Geologie auf der anderen Seite. Diese Diskussion hat zur Emanzipation der Naturwissenschaften von der Religion beigetragen. 

Ist eine alte Welt für Menschen noch heute eine Kränkung?

Mezger: Eine alte Welt bedeutet, dass der Mensch nicht der Beginn der Schöpfung ist. Das war nur eine von mehreren Kränkungen durch die Wissenschaft. Die Psychoanalyse etwa hat uns gelehrt, dass wir nicht einmal Herr über unsere eigenen Sinne sind. Wenn wir irgendwann Leben außerhalb unseres Sonnensystems entdecken, wäre die Reihe an Kränkungen, die mit dem kopernikanischen Weltbild begonnen hat, abgeschlossen. Heute hat man oft den Eindruck als wären die Menschen wirklich beleidigt auf die Wissenschaft selbst. 

Eine alte Welt bedeutet, dass der Mensch nicht der Beginn der Schöpfung ist. Das war nur eine von mehreren Kränkungen durch die Wissenschaft.

Wird man als Geochemiker angefeindet?

Mezger: In Europa nicht, aber in den USA ist es bei Vorträgen zur Geochronologie nicht unüblich, dass junge Menschen aus dem Milieu von “Born again”-Glaubensgemeinschaften auftauchen, um auch ihre Bibel-basierte Meinung darstellen zu wollen. 

Hat die Wissenschaft hier vielleicht sogar wieder Boden verloren?

Mezger: Ich glaube schon. Es ist schockierend, wenn heute Leute über Dinge reden, von denen sie überhaupt nichts verstehen. Da predigen Leute über Corona, die keine Ahnung davon haben, was DNA ist. Expert:innen werden regelmäßig angefeindet, indem ihnen Ideologie unterstellt wird. Die Menschen wollen keine Expertise mehr sondern Bestätigung. Die Forschungsfeindlichkeit, die hier entsteht, ist ein Problem. 

Die Menschen wollen keine Expertise mehr sondern Bestätigung.

Wie könnte man das beheben?

Mezger: Indem wir die wissenschaftliche Methode schon in der Schule besser lehren. Es gibt einen Unterschied zwischen Meinung und Fakten, den man durch Experimente und Messungen ganz leicht erfahrbar machen kann. 

 

AUF EINEN BLICK

Klaus Mezger ist Professor für Geochemie am Institut für Geologie der Universität Bern in der Schweiz. Zuvor forschte er u.a. in den USA und am Max-Planck-Institut für Chemie in Deutschland.

Mezger war Vortragsgast beim Symposium „Das Alter der Erde“, bei dem auf Einladung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) geologische Zeiträume in der Erdgeschichte in den Blick genommen wurden.