18.09.2024 | Molekularbiologie

Der Kortex in der Petrischale

Hirnorganoide bieten einzigartige Einblicke in das menschliche Gehirn. Ein Team rund um Molekularbiolog:innen der ÖAW hat eine neue Methode entwickelt, Organoide zu erzeugen, die in ihrem Aufbau der typischen Strukturierung der Großhirnrinde ähneln. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin "Nature Methods" veröffentlicht.

Längsschnitt eines polarisierten kortikalen Assembloids (polCA). © IMBA/Camilla Bosone

Hirnorganoide werden in der Forschung eingesetzt, um die Entwicklung des menschlichen Gehirns zu untersuchen. Mit diesen aus menschlichen pluripotenten Stammzellen gewonnenen 3D-Modellen können Wissenschaftler:innen Eigenschaften untersuchen, die einzigartig für das menschliche Gehirn sind. Bislang wurden als Modelle für die Großhirnrinde die üblichen kugelförmigen Zellkulturen verwendet, die sich allerdings in der Gestalt vom menschlichen Kortex unterscheiden. Die menschliche Großhirnrinde ist länglich und von hinten nach vorne in verschiedene funktionelle Bereiche unterteilt. Einem Forscher:innenteam rund um Jürgen Knoblich am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gelang es nun in Zusammenarbeit mit Kolleg:innen am Human Technopole und an der Universität von Milan-Bicocca Hirnorganoide zu erzeugen, die entlang der Längsachse in spezifische Bereiche unterteilt sind. Das neue Protokoll für diese Untersuchungen hat das Team im Fachjournal Nature Methods publiziert.

Experimentelle Plattform für die Gehirnforschung

Während der Entwicklung wird das sich bildende Gehirn durch verschiedene Signalmoleküle, sogenannte Morphogene, strukturiert. Bei der neu präsentierten Methode stellten die Forscher:innen zunächst lange lineare Organoide her. Diese wurden dann mit einem Zellhaufen fusioniert, der den bekannten Wachstumsfaktor für die Embryonalentwicklung FGF8 produzierte. Das führte dazu, dass sich die linearen Organoide strukturierten. Das bedeutet, dass eine asymmetrische Quelle von FGF8 allein für die Genexpression und die Segregation der Zellen entlang der Längsachse der Organoide verantwortlich ist. Die erhaltene Strukturierung ähnelt dem Muster im menschlichen Kortex. „Wir sind nun in der Lage, diese Polarität konsistent entlang der gesamten Längsachse des Organoids zu erzeugen“, resümiert Jürgen Knoblich, Senior Group Leader am IMBA und korrespondierender Autor der Studie.  

Wir sind in der Lage, diese Polarität konsistent entlang der gesamten Längsachse des Organoids zu erzeugen.

Anschließend demonstrierten die Wissenschaftler:innen, wie kortikale Organoide für die Untersuchung von Hirnerkrankungen wie beispielsweise der Achondroplasie eingesetzt werden können. Diese Fehlbildung im Temporallappen des Kortex ist mit einer Mutation in FGFR3, einem Rezeptor für das FGF8-Signal, verbunden. Stellt man nun strukturierte kortikale Organoide mit dieser Mutation des FGFR3-Rezeptors her, verändert das ebenfalls die Zellproliferation und die Struktur des wachsenden Organoids entlang der Längsachse. Strukturierte Organoide dienen also auch als ein Modell, um Defekte zu untersuchen, denen Entwicklungsstörungen zugrunde liegen. Die Organoide könnten sogar eine experimentelle Plattform sein, um die Hypothese zu testen, dass frühe Defekte in der Musterbildung für Transkriptionsveränderungen im Gehirn von Autisten verantwortlich sind. Denn: "Organoide bieten die Möglichkeit, genetische und umweltbedingte Veränderungen, die für neuropsychiatrische Störungen relevant sind, mit spezifischen frühen kortikalen Musterbildungsereignissen zu verbinden", so Knoblich.

Ein neues Modell für die Kortexentwicklung  

Im Verlauf der Entwicklung des menschlichen Gehirns interagieren mehrere Morphogene und Signalwege. Während es in den kugelförmigen Organoiden schwierig ist, den Beitrag der einzelnen Komponenten zu erfassen, gelingt das durch die Verwendung strukturierter Hirnorganoide weit besser. Bei letzteren ist FGF8 das einzige Signal, das die verschiedenen Bereiche spezifiziert. Die Analyse der Hirnorganoide legt als nahe, dass die FGF8-Quelle im sich entwickelnden menschlichen Gehirn - im sogenannten Neuralkamm - eine primäre Rolle bei der Musterentstehung des Kortex spielt.

Diese Hirnorganoide werden ein nützliches Modell sein, um weiter zu untersuchen, wie Neuronen ihre Identität während der Entwicklung erwerben.

Camilla Bosone, eine der Erstautor:innen der Studie, umreißt die zukünftigen Möglichkeiten, einzelne Signalwege separat zu untersuchen: "Durch die Verschmelzung von morphogenproduzierenden Organoiden und durch die präzise Steuerung des Zeitpunkts und der Menge der Morphogene erhalten wir polare kortikale Assembloide (PolCAs), die als optimale In-vitro-Modelle dienen, um Signalwege isoliert zu erforschen.“ Und Jürgen Knoblich ergänzt, dass "die strukturierten Hirnorganoide  sehr nützlich sein werden, um herauszufinden, wie Neuronen ihre Identität während der Entwicklung erwerben.

 

 

Auf einen Blick

Publikation:

Jürgen Knoblich, Camilla Bosone, Veronica Krenn, Segundo Guzman, Tom Wyatt, Thomas Burkard, Sunanjay Bajaj, Joshua Bagley, Benoit Sorre, Davide Castaldi, Christina Cheroni, Nicolo Caporale, Chong Li, Emanuele Villa, Giuseppe Testa. A polarized FGF8 source specifies frontotemporal signatures in spatially oriented cell populations of cortical assembloids. Nature Methods 2024. DOI: 10.1038/s41592-024-02412-5