30.08.2024

Die vier Cluster-Satelliten der ESA gehen in den Ruhestand

Grazer Weltraumforscher:innen verabschieden sich von einer historischen Mission

Die vier Cluster-Satelliten der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) umkreisen seit mehr als 20 Jahren die Erde. Nun haben sie ausgedient. Am 8. September 2024 wird Cluster 2, auch Salsa genannt, als erster der vier Satelliten über dem Südpazifik wieder in die Erdatmosphäre eintreten. Das Grazer Institut für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften war maßgeblich für den Erfolg der Mission verantwortlich und an mehreren Messinstrumenten – zum Teil federführend – beteiligt.

Salsa beim Wiedereintritt in die Atmosphäre der Erde (© ESA/David Ducross)

Reiche wissenschaftliche Ernte

"Mit 137 Veröffentlichungen ist das IWF - und damit Österreich - unter den Top 5 der Cluster-Publikationen", so Rumi Nakamura.

Die vier ESA-Satelliten wurden im Jahr 2000 gestartet, um die magnetische Umgebung unseres Planeten und die Interaktion mit dem Sonnenwind, einem konstanten Strom geladener Teilchen, der von der Sonne in den Weltraum geblasen wird, zu erforschen. Die erfolgreiche Mission hat ihre nominelle Lebensdauer von zwei Jahren um mehr als das Zehnfache überschritten.

Aber alles hat ein Ende, und Cluster sogar vier: Rumba (Cluster 1), Salsa (Cluster 2), Samba (Cluster 3) und Tango (Cluster 4), wie das Satellitenquartett auch genannt wird, haben ausgetanzt. Ab September werden sie nacheinander deaktiviert, kontrolliert zum Absturz gebracht und in der Erdatmosphäre verglühen. "Der Wiedereintritt markiert das Ende einer historischen wissenschaftlichen Mission, die mehr als 24 Jahre lang bahnbrechende Ergebnisse aus dem erdnahen Weltraum geliefert hat", so IWF-Gruppenleiterin Rumi Nakamura, Leiterin der Forschungsgruppe Weltraumplasmaphysik am IWF.

Cluster hat durch die Vierpunktmessung die Erforschung des Energietransports im Magnetschweif der Erde revolutioniert und eine reiche wissenschaftliche Ernte ermöglicht. Über 3200 referierte Artikel sind in Fachzeitschriften erschienen. "Abgesehen von Weltraum-Riesen wie den USA, China und Russland ist das IWF - und damit Österreich - mit 137 Erstautor-Veröffentlichungen unter den Top 5 der Cluster-Publikationen", zeigt sich Nakamura stolz. Der meistzitierte Artikel ist Nakamura et al., 2002, Zhang et al., 2005 erschien als ESA-Highlight und ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist Roberts et al., 2022.
 

Salsa macht den Anfang

Von den vier Cluster-Satelliten wird Salsa der erste sein, der den Absprung aus dem All wagt. Im Jänner 2024 manövrierte das Cluster-Kontrollteam Salsa so, dass der Absturz über unbewohntem Gebiet im Südpazifik, westlich von Chile, erfolgen wird. Der Satellit wird am 8. September 2024 ohne weitere Hilfe in die Erdatmosphäre eintreten. Dieser 'gezielte Wiedereintritt' ist der erste seiner Art. Die Bemühungen der ESA, ein sauberes Ende der Cluster-Mission zu gewährleisten, gehen über internationale Standards hinaus und lassen Europa eine Vorreiterrolle in der nachhaltigen Weltraumforschung einnehmen.

Der wissenschaftliche Betrieb von Cluster wird Ende September 2024 eingestellt und die Instrumente auf den verbleibenden drei Satelliten werden abgeschaltet. Diese werden überwacht, um eine Kollision mit anderen Raumsonden sowie das Aufladen der Batterien zu verhindern, die den sicheren Wiedereintritt in die Atmosphäre beeinträchtigen könnten. Der Wiedereintritt von Rumba (Cluster 1) ist für November 2025 und für Samba (Cluster 3) und Tango (Cluster 4) im August 2026 geplant.

Das IWF Graz an Bord von Cluster

Die Nutzlast jedes Satelliten besteht aus elf wissenschaftlichen Instrumenten. Das IWF hat zu drei Messgeräten auf jedem Cluster-Satellit beigetragen. Unter der Leitung des Grazer Instituts wurde ASPOC entwickelt und gebaut - ein Instrument, das die elektrische Aufladung des Satelliten regelt und so ungestörte Messungen niederenergetischer Teilchen gewährleistet. Zum Elektronenstrahlinstrument EDI, das das elektrische Feld misst, steuerte das IWF die Software bei. Für das Magnetfeldmessgerät FGM entwickelte das IWF die Datenerfassungseinheit und überprüfte die magnetische Reinheit des Satelliten. Wissenschaftlich ist das IWF auch an den Instrumenten PEACE und CIS zur Messung von Elektronen- und Ionenmassenspektren beteiligt.

Für den Austausch und die Verteilung der Daten wurde schon in den frühen 90ern des vorigen Jahrhunderts ein System aus sieben nationalen Datenzentren erdacht. Bandbreiten waren damals klein, die Datenvolumen für damalige Verhältnisse hoch, so sollte das verteilte System schnellen Zugriff für die wissenschaftliche Gemeinde sicherstellen. Das österreichische Datenzentrum (Austrian Cluster Data Center, ACDC) wurde vom IWF errichtet und ist seit 2014 Teil des Cluster Science Archive.

Cluster – ein Pionier in puncto sicherer Weltraum

"Cluster hat geholfen, das Weltraumwetter besser zu verstehen und vorherzusagen", so Nakamura.

Der Einfluss des Sonnenwindes auf die magnetische Umgebung der Erde wird in der Fachwelt als Weltraumwetter bezeichnet. In den Zeiten vor Cluster war das Weltraumwetter ein Mysterium für die Wissenschaft. "Cluster hat die Auswirkungen von Sonnenstürmen beobachtet und so geholfen, das Weltraumwetter besser zu verstehen und vorherzusagen", so Nakamura. "Die Mission hat immer wieder gezeigt, wie wichtig die Magnetosphäre ist, um uns vor dem Sonnenwind zu schützen."

Cluster war weder für eine so lange Lebensdauer noch für ein so sicheres Ende konzipiert. Mit diesem gezielten Wiedereintritt der vier Satelliten macht die ESA Cluster von einem Pionier in der Weltraumwetterüberwachung zu einem Pionier in der Vermeidung von Weltraummüll - zwei Schlüsselelemente der Sicherheitsziele der ESA.

"Die Anzahl an aktiven und inaktiven Satelliten im Erdorbit hat sich in den letzten 10 Jahren vervierfacht", sagt Michael Steindorfer.

Ohne Intervention wären die vier Cluster-Satelliten auf weniger vorhersehbare Weise wieder in die Erdatmosphäre eingetreten, möglicherweise über einer dichter besiedelten Region. Durch den gezielten Wiedereintritt stellt die ESA sicher, dass die ausgedienten Cluster-Satelliten nicht zu der rasant ansteigenden Menge an Weltraummüll beitragen. "Die Anzahl an aktiven und inaktiven Satelliten im Orbit um unseren Planeten hat sich in den letzten 10 Jahren auf aktuell ca. 13.000 vervierfacht", sagt Michael Steindorfer, Leiter der IWF-Forschungsgruppe Satellite Laser Ranging. Es sei also entscheidend, einen kontrollierten Wiedereintritt von ausgedienten Satelliten zu gewährleisten, um so dem immer größer werdenden Problem von Weltraummüll entgegenzusteuern. "Dieser Nachhaltigkeitsgedanke spiegelt sich auch in der kürzlich veröffentlichten Zero Debris Charter wider, die von Österreich als einem der ersten Länder unterzeichnet wurde", so Steindorfer.

Cluster geht, SMILE kommt

Ende 2025 plant die ESA den Start ihrer nächsten Mission, die sich mit der magnetischen Umgebung der Erde befassen soll: SMILE - ein Gemeinschaftsprojekt mit der Chinesischen Akademie der Wissenschaften. SMILE wird auf Cluster aufbauen, um noch mehr über die komplexe Wechselwirkung zwischen dem Sonnenwind und der Erdmagnetosphärdie zu erfahren.

"Cluster trifft gleich zweimal ins Schwarze beim Thema Nachhaltigkeit", betont Christiane Helling.

„Es ist sehr beeindruckend, dass Cluster so viele Jahre so erfolgreich neue Erkenntnisse über unseren Heimatplaneten liefern konnte. Cluster trifft damit gleich zweimal ins Schwarze beim Thema Nachhaltigkeit: Zum einem im Rahmen von Space Ecology und zum anderen bei der nachhaltigen Nutzung unseres Erfahrungsschatzes als Basis für neue Instrumententwicklungen”, betont IWF-Direktorin Christiane Helling.

Why Space Research Matters - Cluster

Die im Jahr 2000 gestartete Cluster-Mission der ESA hat beinahe ein Vierteljahrhundert damit verbracht, das zu untersuchen, was die Erde zu einer einzigartigen bewohnbaren Welt macht, in der Leben gedeihen kann: ihr mächtiger magnetischer Schutzschild, die Magnetosphäre. Wie ein riesiger Regenschirm hält sie den meisten Teilchenregen, den die Sonne unablässig in unsere Richtung schickt, von der Erde ab. Dennoch können Sonnenwind-Böen durchschlagen und energiereiche Teilchen kaskadenartig auf die Erdoberfläche niederprasseln lassen. Eine häufige Folge sind beeindruckende Lichtspiele, auch bekannt als Polarlichter. In selteneren Fällen können diese Teilchen aber auch unsere modernen Technologien beeinflussen, unsere Stromversorgung unterbrechen, den Funkverkehr stören oder Satelliten beschädigen.

Cluster hat wesentlich dazu beigetragen, das Weltraumwetter besser zu verstehen und vorhersagen zu können. In den letzten zwei Jahrzehnten wurde ein beispielloses Datenarchiv über den erdnahen Weltraum angesammelt, das viele bahnbrechende Erkenntnisse ermöglicht hat. Cluster setzt aber auch neue Maßstäbe bei der Vermeidung von Weltraummüll. Mit dem sauberen Ende der Mission unterstreicht die ESA ihre Ambitionen, aktiv zur nachhaltigen Nutzung des Weltraums beizutragen. Ein Ziel, das auch in der österreichischen Weltraumstrategie 2030+ des Klimaschutzministeriums und in der Zero Debris Charter verankert ist, in der sich die ESA und alle Unterzeichner - darunter auch Österreich - verpflichten, die Entstehung von Weltraummüll bis 2030 zu stoppen.

 

Mehr Information zum Wiedereintritt von Cluster findet man bei der ESA.

Ein Online-Medienbriefing vor dem Wiedereintritt ist für 6. September 2024 um 10.00 Uhr MESZ geplant.

 

Rückfragen

Doz. Dr. Rumi Nakamura (Cluster)
M +43 664 4032672
rumi.nakamura(at)oeaw.ac.at

Dr. Michael Steindorfer (Space Debris)
T +43 316 873-4652
michael.steindorfer(at)oeaw.ac.at