27.06.2024

„Wir müssen Technik als offene Frage sehen, sie ist keine Tatsache“

Karen Kastenhofer ist neue stellvertretende Leiterin des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung der ÖAW. Dringenden Handlungsbedarf sieht sie aktuell bei den Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz und der Klimakrise. In ihrem Antrittsinterview erzählt Kastenhofer, wie sie von der Natur zur Technik kam und was es braucht, um Demokratien zu stärken.

Die promovierte Biologin und Wissenschafts- und Technikforscherin erkannte schon früh in ihrer Karriere durch Forschungsarbeit zur Gentechnik-Kontroverse, dass die Meinungen von Expert:innen alleine nicht ausreichen.

Frau Kastenhofer, wie wird man zur Technikfolgenabschätzerin an der ÖAW, obwohl es dafür gar keine Ausbildung gibt?

Karen Kastenhofer: Diese Fragen kann ich nur versuchen zu beantworten, aber ich denke es lässt sich so zusammenfassen: Indem man nie aufhört, Dinge in Frage zu stellen und Wissenschaft als etwas sieht, das reflektiert werden kann und soll. Und ein gewisses Interesse an gesellschaftlichen Problemstellungen und demokratiepolitischen Fragen gehört wohl auch dazu.

Sie sind seit 2007 am ITA, wie haben Sie sich anfangs in diesem Mix aus unterschiedlichsten Disziplinen und Weltanschauungen getan?

Kastenhofer: Ich hatte so viele Fragen (lacht). Aber ich habe gespürt, dass ich hier am richtigen Platz bin, und dass es einen Ort gibt, wo Technikforschung als Hautberuf möglich ist. Natürlich mussten wir uns alle immer wieder zusammenraufen. Mein Selbstverständnis als Technikfolgenabschätzerin musste auch erst wachsen. Ich kannte einzelne Personen vom ITA, aber den Charakter des Instituts musste ich noch kennenlernen. Plötzlich arbeitete ich unter einem neuen Label. Was genau war Technikfolgenabschätzung (TA) aber? Es war schon ein Sprung ins kalte Wasser!

TA beschäftigt sich auch mit der Meinung der Bürger:innen zu Technik und betreibt aktiv Politikberatung. Wie bleibt man da authentisch?

Kastenhofer: Der Umgang mit Technik ist so komplex, wir müssen so vieles hinterfragen: Wie wird Technik gemacht und was macht Technik mit uns? Wie wirkt sich Technik auf unsere privaten Räume aus, wie soll die Politik damit umgehen? Ich sehe hier TA in der Verantwortung, unabhängig davon, ob ein Thema gerade „in“ ist und stark finanziert wird, oder nicht. Wer hat die Kontrolle über Technikentwicklungen? Welche Interessen und Werte, welche Expertise fließt hier ein? Ich will meine Erfahrungen dazu verwenden, Räume für ehrliche Auseinandersetzungen zu schaffen.

Sie sind Biologin. Wie sind Sie von der Natur zur Technik gekommen?

Kastenhofer: Ich habe begonnen, Biologie zu studieren, weil mich die Natur fasziniert hat und ich sie als zutiefst schützenswert erachte. Ich habe Schlamm vom Meeresboden geholt und die 3000 Gefäßpflanzen Österreichs auswendig zu lernen versucht. Das war aber sehr schnell nicht genug, weil ich erkennen musste, dass Naturschutz mehr braucht als bloß die naturwissenschaftliche Expertise. Wenn wir als Menschen nicht miteinander über Möglichkeiten kommunizieren, können wir auch die Natur nicht schützen. Und genau darum geht es in der Technikfolgenabschätzung – zu sagen, Technik wirkt sich auf uns, auf die Umwelt, auf unsere Gesundheit, auf unser Miteinander aus, was braucht es für einen verantwortungsvollen Umgang.

Ich habe mich dann zunehmend auch mit anderen Wissenschaftszweigen beschäftigt, mit interdisziplinärer Forschung und mit den Unterschieden zwischen den Wissenschaftskulturen. Gesellschaftliche Konflikte, insbesondere die Kontroverse rund um die Grüne Gentechnik, haben mich letztlich zur Technikforschung und zur TA gebracht: Ich wurde von der Universität Augsburg für ein Projekt angeheuert. Ziel war es, besser erklären zu können, wie es zu Kontroversen über neue Technologien kommt. Wie kann es sein, dass Meinungen von Expert:innen zu bestimmten Themen diametral auseinander gehen? Bei der landwirtschaftlich genutzten Gentechnik standen sich etwa Molekularbiolog:innen und Ökobiolog:innen gegenüber. Wie kann es sein, dass hier kein Konsens möglich ist? Überraschend war für mich festzustellen, dass es bei Technikkonflikten oft nicht um die Technik selbst geht, sondern um Geschäftsmodelle und die Angst, dass globale Konzerne und deren Lobbys Macht über uns ausüben.

War die Gentechnik-Kontroverse der erste Technikkonflikt, den sie hautnah erlebten?

Kastenhofer: Ein prägendes Erlebnis, das meine gesamte Laufbahn danach beeinflusste, hatte ich bereits Jahre zuvor: Als idealistische, junge Vegetationsökologin betrieb ich Feldforschung für Natura 2000. Meine Aufgabe war es, durch Österreich zu reisen und schützenswerte Biotope aufzulisten. Einmal wurde ich von einem Biologielehrer der örtlichen Schule zu einer Orchideenwiese geschickt – die ansässigen Bauern hatten sie allerdings spontan gemäht und mit Gülle bedeckt. So groß war die Angst, neue Auflagen übergestülpt zu bekommen. Diese Menschen wollten die Umwelt erhalten, aber sie wollten nicht diktiert bekommen, wie das geht. Da erkannte ich, wie wichtig das Soziale, die Kommunikation ist. Hätten wir mit den Menschen dort vorher reden können, wäre es vielleicht nicht zu dieser Aktion gekommen.

Dieses Erlebnis gab mir den Antrieb, „hinter die Wissenschaft“ blicken zu wollen. Ich habe mich dann der interdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung und der Wissenschaftssoziologie gewidmet und mir gemeinsam mit gleichgesinnten Kolleg:innen mein Studium selbst zusammengestellt, was in der 1990er-Jahren mit etwas Zusatzaufwand noch möglich war. Wir wollten Wege finden, wie interdisziplinäre Zusammenarbeit robust funktionieren kann. Wir haben uns auch gefragt, was für ein Weltbild einem das Studium vermittelt und welches Wertesystem. Wie integriert man, was man erlebt, in seine eigene Identität als Mensch, als Forschende, als Expertin?

Was möchten Sie für das ITA erreichen, bzw. was ist Ihnen in Ihrer neuen Aufgabe besonders wichtig?

Kastenhofer: Die Rolle des ITA sehe ich darin, am Puls der Zeit zu sein, ohne sich von scheinbaren äußeren Zwängen antreiben zu lassen. Offene Fragen zur Digitalisierung werden uns noch lange beschäftigen. Die sich zuspitzende Klimakrise ist ein notwendiger Bezugspunkt praktisch aller unserer Projekte. Wir brauchen rasche, aber auch weise Entscheidungen, wissenschaftliche Expertise, aber auch öffentliche Verständigung und demokratische Aushandlung.

Mir geht es sicher nicht darum, der Öffentlichkeit die Welt zu erklären. Menschen haben ein gutes Gespür dafür, worum es eigentlich geht. Das müssen wir ernst nehmen und darauf aufbauen.  Technologiegestaltung braucht Ehrlichkeit und Transparenz, sie braucht wechselseitiges Zuhören und gemeinsame Diskussion. Und letztlich sind auch Konflikte und Interessensabwägungen angesagt. Das ist unangenehm, es lässt sich aber nicht vermeiden. TA braucht daher nicht nur wissenschaftliche Expertise, sondern auch engagierte Bürger:innen und starke Demokratien. Das eine ist ohne das andere eigentlich nicht zu denken. Hier konstruktiv mitzuwirken sehe als meinen Auftrag.

Bio Karen Kastenhofer

Karen Kastenhofer, geboren 1974 in Wien und aufgewachsen in Niederösterreich, ist seit 2007 am Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im Arbeitsbereich „Governance kontroverser Technologien“ beschäftigt. Sie ist Gründungsmitglied der Austrian Association for Science and Technology Studies (STS Austria) und Mitglied des Editorial Board von „TATuP – Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis.“ Mit 1. Juni löste sie Datenschutzexperten und ITA-Gründungsmitglied Walter Peissl als stellvertretende Direktorin ab.

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