24.06.2024

Walter Peissl - unglaubliche 36 Jahre für die Technikfolgenabschätzung

"Gemeinsam konnten wir viel erreichen, denn wir haben uns ergänzt.“ – Eine Würdigung zum Ruhestand von Dr. Walter Peissl von ITA-Direktor Michael Nentwich

Foto: ITA

Mit Walter Peissl geht eine Ära am Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der ÖAW zu Ende. Er war und ist ein Technikfolgenabschätzer ohne Wenn und Aber – ein Role Model unserer Zunft. Ohne Berührungsängste mit anderen Denkweisen, Perspektiven, Disziplinen. Mit viel Fingerspitzengefühl, wie man wann – wem – was kommuniziert. Mit einer gehörigen Portion Skepsis und kritischem Zugang, aber ohne Parteilichkeit. Er hat den schwierigen Spagat geschafft, die Distanz zur Politik aufrechtzuerhalten und doch engagiert zu sein, wissenschaftlich zu argumentieren, aber nicht der Konfrontation auszuweichen.

Dr. Walter Peissl, stellvertretender Direktor des ITA, verabschiedete sich in den Ruhestand. Er hat sich mit Hingabe über drei Jahrzehnte der Technikfolgenabschätzung gewidmet.

Walter Peissl war als einer der allerersten Mitarbeiter der Forschungsstelle für Technikbewertung (FTB), dem Vorläufer des ITA, praktisch von Anfang an maßgeblich an der Etablierung der Technikfolgenabschätzung in Österreich beteiligt. 1990 wurde er stellvertretender Leiter. In seiner Zeit entwickelte sich das Institut von einer kleinen, hoch motivierten Forschungsgruppe zu einer hochprofessionellen, wissenschaftlichen Forschungseinrichtung mit etwa 25 Mitarbeiter:innen. Da mittlerweile alle anderen Mitglieder der ursprünglichen Gruppe (bis auf den Autor dieser Zeilen) entweder andere Wege eingeschlagen haben oder selbst pensioniert wurden, war Walter bis vor wenigen Tagen das lebendige institutionelle Gedächtnis. Er, der beim Gründervater der Technikfolgenabschätzung in Österreich und ersten Leiter, Ernest Braun, gelernt hat, durch die Schule des Politikberatungsprofis und zweiten Direktors, Gunther Tichy, gegangen ist und alle Höhen und Tiefen der Institutswerdung und -verstetigung miterlebt und mitgestaltet hat, hinterlässt uns ein großes Erbe.

Walter Peissl steht stellvertretend für das Grundrecht auf Privatsphäre

Es ist unbestritten, dass Walter Peissl als Forscher trotz vieler sonstiger thematischer Ausflüge in erster Linie für das Thema Schutz der Privatsphäre steht. Neben der Verbreitung des Gedankens, dass jede neue Technik unbedingt vor ihrem Einsatz auf Nutzen und Risiken für die Gesellschaft durchleuchtet werden muss, kann man das Thema Privatsphäre mit Fug und Recht als sein Lebenswerk bezeichnen. Er war viele Jahre das Gesicht zum Begriff Privacy, vor allem in Österreich. Die, die sich heute um das Thema bemühen, stehen in gewisser Weise auf seinen Schultern. Das ist ein großer Verdienst, auch wenn der Kampf um den Schutz dieses demokratiepolitisch wertvollen Grundrechts noch lange nicht vorbei ist.

Als Erster auf internationalem Parkett

Auch das internationale Renommee des Instituts hat er mitaufgebaut, war er doch seit 1993 der Vertreter des ITA im Rahmen von European Parliamentary Technology Assessment (EPTA) und gründete 2004 das deutschsprachige Netzwerk Technikfolgenabschätzung (NTA) mit. Weiters war er aktiv an etlichen EU-Projekten beteiligt und hat damit die fachliche und soziale Vernetzung des Instituts mit der TA-Community befördert.

Walter Peissl hat im Laufe seiner 36 Jahre am Institut insgesamt 77 Projekte durchgeführt, viele davon selbst geleitet. Diese Projekte sprechen zu praktisch allen Themenbereichen des Instituts über die Jahrzehnte, mit einem Schwerpunkt im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologien. Er hatte, als echter „TAler“, keine Scheu davor, sich immer wieder in ein neues Thema einzuarbeiten und Interdisziplinarität zu leben. Auch an Veröffentlichungen ist in drei Dutzend Jahren viel zusammengekommen: eindrucksvolle 300 Einträge in der ITA-Publikationsdatenbank und fast 200 Vorträge.

Eine Zukunft mit KI

Vollständig zurückziehen wird sich Walter natürlich nicht: Gerade erst wurde er  etwa in den KI-Beirat der österreichischen Bundesregierung berufen. Als Kollegen am Institut, der jederzeit für alles ansprechbar war, als Inputgeber in laufende Projekte, als Akquisitor neuer Projekte und Aufträge, als umsichtigen stellvertretenden Institutsleiter jedoch werden wir ihn vermissen. Wir feierten seinen Abschied so, wie es sein soll: im Kreis von Weggefährt:innen und Kolleg:innen aus dem In- und Ausland, die teils zu Freunden wurden, und sogar im Beisein unseres wissenschaftlichen Beirats. In etlichen Reden, musikalischen und kabarettistischen Einlagen wurde Walters Lebenswerk im Dienst der Technikfolgen-Abschätzung ausführlich gewürdigt.

Autor: Michael Nentwich
19. Juni 2024

 

Links
Walter Peissl im Web
KI-Beirat