24.06.2024

Pionier der Privatsphäre

Walter Peissl, Gründungsmitglied des ITA und nun stellvertretender Leiter im Ruhestand, spricht in seinem Abschieds-Interview über Festnetztelefone, sein Lebenswerk als Datenschutzexperte, und 36 Jahre Einsatz für die Technikfolgenabschätzung.

Foto: Thomas Lehmann

36 Jahre…

Walter Peissl: Ja, am 11. April 1988 habe ich angefangen.

Da müssten wir jetzt eigentlich ein Buch anlegen, „The Peissl Archives“.

Peissl: Es gibt ja Publikationslisten (siehe unten, Anm.) und den Text über „30 Jahre ITA“, da findet man so einiges auch über meine Arbeit.

Und was finden Sie, wenn Sie zurückschauen?

Peissl: Ich denke daran, wie weit wir gekommen sind. Als Gruppe von Idealisten haben wir begonnen, fünf andere Forscher und ich, darunter auch der erste Leiter unserer „Forschungsstelle für Technikbewertung“, wie sie damals hieß, Ernest Braun. Nun sind wir beratend im österreichischen Parlament tätig und international mit dem European Parliamentary Technology Assessment (EPTA) Netzwerk und anderen Kooperationen so gut vernetzt wie es auf europäischer Ebene möglich ist.

Ich denke aber auch an die Freunde und Freundinnen, die ich gewonnen habe, an Australien-Trips und Auftritte vom Kollegium Kalksburg.

Genau das war ja immer Ihr Markenzeichen: Der Forscher, der immer Mensch blieb.

Peissl: Ich glaube nicht daran, dass man sich im Leben nur einer Sache verschreiben sollte. Es gibt zu viel Schönes, das sich lohnt, gelebt zu werden. So bereichert sich für mich auch meine Arbeit, denn mir ging es auch in meiner Forschung immer darum, den Menschen im Mittelpunkt zu haben: Ob bei Fragen des Konsument:innenschutzes, der Privatsphäre oder der Sicherheit am Arbeitsplatz.

Wissenschaft und Politikberatung – darüber wurde ja zuletzt viel diskutiert in Österreich. Wie haben Sie diese Verbindung erlebt?

Peissl: Für mich ist Technikfolgenabschätzung (TA) in ihrer ursprünglichen Form, nämlich immer mit dem Auge auf Menschen, Umwelt und eben Politik, nicht ohne Politikberatung denkbar. Die passiert meistens in Parlamenten aber auch in Ministerien, auf EU-Ebene usw. Vorgemacht hatten es uns ja die USA, und wir aus dieser 1. Generation, haben das als so spannendes Modell empfunden, dass wir gesagt haben: Das tun wir einfach! Trotz mancher Widrigkeiten am Anfang, war es ein Konzept, für das wir gebrannt haben.

Wir haben dann 1991 bei der bisher einzigen parlamentarischen Enquete-Kommission „Technikfolgenabschätzung am Beispiel der Gentechnologie“, die im Vorfeld der Entscheidung zum Gentechnikgesetz mehrere Monate lang abgehalten wurde, erstmals im Parlament gearbeitet. Abgeordnete aller fünf Fraktionen waren da dabei! Der große Sprung in Richtung Parlament kam aber erst mit dem jetzigen Direktor Michael Nentwich. Nach jahrelanger Vorbereitungsarbeit bekamen wir 2017 endlich den ersten Vertrag für eine Arbeitsgruppe gemeinsam mit dem AIT. Die zweite Ausschreibung hat das ITA exklusiv gewonnen. Für mich ist das ein Ankommen nach einem drei Jahrzehnte langen Prozess. Dafür braucht es einen langen Atem und sehr viel Geduld.

Geopolitische Konflikte brennen – wie ist es da derzeit um die Technikfolgenabschätzung bestellt?

Peissl: In Europa sehe ich eine sehr gute Entwicklung: EPTA ist nach wie vor eine starke Stimme für globale Bemühungen, das STOA-Gremium ist unser Draht ins EU-Parlament. Entwicklungen sind natürlich global, KI ist überall KI, aber im Globalen Süden etwa haben wir andere Arbeitsweisen und Problemlagen. Die geopolitische Situation mit China ist ebenfalls zu diskutieren: Kann man in einem nicht-demokratischen System TA machen? Wichtig wäre, Australien für GlobalTA zu gewinnen, denn dort herrschen andere Perspektiven auf den Klimawandel.

Ihr Thema war und ist Datenschutz und Privatsphäre. Dazu sind Sie in den Medien ein bekanntes Gesicht. Vor kurzem wurden sie sogar zum Mitglied des KI-Beirats der Bundesregierung berufen. Wie steht es derzeit um den Datenschutz?

Peissl: Es gab eine Konjunktur, um das Interesse von Privatsphäre und Datenschutz auszuloten, als Vorbereitung auf eine Datenschutz-Grundverordnung. Da konnten wir viel von unserer Arbeit in die Projekte einbringen, etwa beim Projekt SurPRISE. Jetzt geht es eher um konkrete Anwendungen von Systemen oder Software. An diesem Prozess ist TA weniger beteiligt. Im Moment arbeiten wir mehr zu gesellschaftlichen Aspekten von Künstlicher Intelligenz aber auch Nachhaltigkeit und sozialer Fairness. Themenschwerpunkte ändern sich, auch auf EU-Ebene, daher ist es gut, dass wir am ITA breit und interdisziplinär arbeiten.

Welche Fragen waren für Sie für die technische Entwicklung in Österreich wesentlich?

Peissl: 1988 habe ich eine Studie gemacht zur Frage: Wird interne Datenübertragung durch eine digitale Nebenstellenanlage bewerkstelligt? Oder soll es über LANs mit Ethernet laufen? Dabei haben wir entdeckt, dass es nicht die Technik ist, sondern dass es ganz oft darum geht, wer in einer Organisation mehr Macht hat. Die EDV-Abteilung war früher weniger wichtig als die Hausbetriebsstelle, denn dort wurde die Telefonanlage verwaltet. Das war eine wesentliche Lernerfahrung: Wichtig für die Durchsetzung ist im Endstadium oft nicht die Technik, sondern es sind die gesellschaftlichen und außertechnischen Implikationen. Das ist Summa Sumarum Technikfolgenabschätzung

Eine weitere Entwicklung, die mir einfällt, war auch die Größe der Handys: Zuerst wollten alle ein immer kleineres Handy, bis man einsah, es gibt da einen Abstand von A nach B, nämlich vom Ohr zum Mund, der im Schnitt abschätzbar ist und der immer gleich bleiben sollte – die Handys wurden wieder größer. Jetzt gibt es Bluetooth Headsets, jetzt sind Smartphones noch größer geworden.

Ich kenne Sie als jemand, der einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hat. Sehen Sie das als Hauptmotivation für Ihr Lebenswerk?

Peissl: Ja. Das Thema Gerechtigkeit ist ein Grundpfeiler von TA. Wenn wir alle Menschen als gleichwertig empfinden und es gibt trotzdem Unterschiede, müssen wir untersuchen, woher die Unterschiede kommen: Oft kommen sie durch unterschiedliche Interessen und Gestaltungen in Wirtschaftssystemen. Man darf fragen und wird nicht unwissenschaftlich, wenn man behauptet, dass Kapitalismus Ungleichheit fördert. Das ist inzwischen auch zig-fach nachgewiesen. Auch wenn ich sehe, dass fünf große Tech-Firmen aus den USA ganz viele Länder beeinflussen über Tools, die sie bereitstellen, und die ein gewisses globales Verhalten generieren, ist das nicht unwissenschaftlich.

Ich werde mir selbst aber nichts zuschreiben. Ich werde immer dem jeweiligen Team alles zuschreiben. Darum war es mir auch immer wichtig, dass wir Leute haben, mit denen wir gut zusammenarbeiten. Mein Anliegen war immer, nach bestem Wissen und Gewissen vernünftige Argumente zu bringen, warum was wie aus unserer Sicht aussehen soll. Wir haben in Österreich eine Verfassung, Grundrechte und viel Wissen um Nachhaltigkeit und Klimawandel. Wir können mit gutem Gewissen sagen: Wir waren immer am Puls dessen, was als wissenschaftliche Basis da ist. Wir haben nie aktivistisch agiert, sondern faktisch.

 

Überblick Publikationen

Technology Assessment in a Globalized World, (Springer 2023)
Hrsg.: Leonhard Hennen, Julia Hahn, Miltos Ladikas, Ralf Lindner, Walter Peissl, Rinie van Est

Foresight und Technikfolgenabschätzung: Monitoring für das Österreichische Parlament, Ausgabe Mai 2024
Nentwich, M., Eppler, W., Gnisa, F., Gudowsky-Blatakes, N., Kehl, C., Krieger-Lamina, J., et al.

Parlamentarische TA. Grünwald R., Peissl W.
In Technikfolgenabschätzung – Handbuch für Wissenschaft und Praxis (Nomos 2021)

Biometrie für Konsument/innen: Bequeme Schlüsseltechnologie oder Überwachungstool? Schaber, F., Strauss, S., & Peissl, W.
In Konsumentenpolitisches Jahrbuch 2021 : Trends, Rechtsentwicklung und Judikatur der letzten zwei Jahre (LexisNexis 2021)

Democratising utopian thought in participatory agenda setting. Gudowsky, N., Bechtold, U., Peissl, W., & Sotoudeh Mahshid,.
European Journal Of Futures (Springer, Mai 2021)

Drei Jahrzehnte institutionalisierte TA in Österreich. Das Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Nentwich, M., & Fuchs, D.