Mit der sukzessiven bürgerlichen Gleichstellung der Juden, die schließlich 1867 erreicht wurde, entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreiche jüdische Gemeinden und Gebetsstätten in Österreich. Die „Israelitische Cultusgemeinde Währing“ – damals noch ein Vorort Wiens – beauftragte den bekannten Architekt Jakob Modern (1838-1912) mit dem Bau eines repräsentativen Gotteshauses.
In den Jahren 1888/1889 errichtete Modern im Hof des Hauses Schopenhauerstraße 39 eine freistehende, dem Innenhof zugewandte Synagoge im Stil von Neoromanik und Neorenaissance, die Sitzplätze für 328 Männer und 176 Frauen bot. Die Synagoge war das religiöse und kulturelle Zentrum der jüdischen Bevölkerung der Vororte Währing, Weinhaus, Gersthof und Pötzleinsdorf, die ab 1892 den 18. Wiener Gemeindebezirk bildeten. Zu den Rabbinern, die hier wirkten, gehörte David Feuchtwang (1864-1936), der spätere Oberrabbiner von Wien, und Arthur Zacharias Schwarz (1880-1939). Das Gebäude der Synagoge war auch der Sitz jüdischer Vereine: der "Chewra Kadischa in Währing", des "Israelitischen Frauenvereins im 18. Bezirke (Währing) in Wien" und des "Vereins zur Erhaltung einer Talmud-Thora-Schule im XVIII. Bezirk Währing".
Im Zuge des Novemberpogroms wurde die Synagoge in Brand gesetzt und zerstört. Das Brand-Tagebuch der Wiener Feuerwehr vermerkte den Beginn des Feuerwehreinsatzes am 10. November 1938 um 12 Uhr 35 und bezeichnete die Einsatzgrund als „Feuer": „Brannte der Tempel im Ausmaße von ca. 10 x 25m. Die umliegenden Häuser mit 3 Schlauchlinien gesichert".
Das Brandbuch schildert die behördlich angeordnete Vorgehensweise der Feuerwehr während des Novemberpogroms: Während die Nachbarhäuser vor dem Übergreifen des Feuers geschützt wurden, ließ die Feuerwehr die Synagoge brennen. Daher dauerte der gesamte Feuerwehreinsatz über einen Tag, d.h. bis 11. November 1938 14 Uhr 30. Noch am 12. November entzündete sich um 14 Uhr 06 neuerlich ein Balken in den Ruinen der Synagoge. Die Feuerwehr löschte diesmal den Brand.
Archiv der Wiener Feuerwehr
Im Dezember 1939 meldete das Baupolizeireferat des Reichsgaues Wien an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten die Abtragung der Synagoge in der Schopenhauerstraße. Die Kosten der Abtragung musste die Israelitische Kultusgemeinde Wien als Eigentümerin bezahlen. Die Schleifung der Synagoge dauerte aufgrund technischer Probleme und des Arbeitskräftemangels schließlich bis zum Sommer 1940. Am 23. September 1940 schloss die Israelitische Kultusgemeinde Wien einen Kaufvertrag mit dem Kaufmann Robert Ritter von Meissl, der für das Grundstück 35.000 Reichsmark bezahlte. Ab 16. Mai 1944 gehörte das Grundstück Marie Stefan, der Gattin des Bäckermeisters Alois Stefan, der bereits zuvor das Grundstück der ehemaligen Synagoge in Wien 9., Müllnergasse 21, gekauft hatte. Am 5. März 1948 erhielt die Israelitische Kultusgemeinde Wien aufgrund eines Vergleichs die Liegenschaft zurückgestellt. Am 10. November 1977 verkaufte sie diese an die Salzburger Wohnungseigentumsbau Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungs-GesmbH. Die neuen Eigentümer rissen das Vorhaus ab und errichteten dort eine Wohnhausanlage. Wo sich früher die Synagoge befunden hatte, ist heute eine Rasenfläche.
Am 6. November 1988 wurde am Haus Schopenhauerstraße 39 eine Gedenktafel an die ehemalige Synagoge angebracht. Am 8. November 2018 wurde im Rahmen des Gedenkprojekts „OT“ vor dem Haus eine fünf Meter hohe Stele mit einem leuchtenden Davidstern errichtet, um an die zerstörte Synagoge zu erinnern. Kultgegenstände aus der Synagoge in Währing, die durch den Brand im Zuge des Novemberpogroms beschädigt wurden befinden sich zum Teil heute im Jüdischen Museum Wien, z.B. ein Torah-Schild anlässlich des 30jährigen Dienstjubiläums von Oberrabbiner David Feuchtwang aus dem Jahr 1933/34 oder eine sechsspännige Torah-Doppelkrone mit einer Widmung der Chewra Kadischa aus dem Jahr 1888. Wie diese genau geborgen werden konnten, ist nicht bekannt.
Quellen:
Jüdisches Museum Wien, Österreichische Nationalbibliothek. Link (31. 1. 2020).
Brandbuch der Wiener Feuerwehr, Archiv der Wiener Feuerwehr. Bob Martens / Herbert Peter: Die zerstörten Synagogen Wiens. Virtuelle Spaziergänge. Budapest: Mandelbaum Verlag 2009, S.179-190. Vgl. auch Shoshana Duizend-Jensen, Synagoge der Israelitischen Kultusgemeinde 18, in: Link ;
Link; Link (31. 1. 2020).
Interview mit Franziska Löw-Danneberg, Sammlung Erzählte Geschichte, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, 2057