09.07.2024 | Sommerwelle

Kein Sommer ohne Corona?

Die Pandemie ist vorbei, aber das Coronavirus sorgt aktuell wieder für steigende Fallzahlen. Über die aktuelle Corona-Sommerwelle spricht ÖAW-Virologe Andreas Bergthaler im Interview.

"Sommerwellen hatten wir auch in den vergangenen Jahren, erinnern wir uns an den Sommer 2022", so ÖAW-Virologe Bergthaler. © Adobe Stock

Das Coronavirus sorgt wieder einmal für eine Sommerwelle. Grund dafür sind veränderte Virusstämme, die der Immunantwort besser entgehen können, sowie die abnehmende Grundimmunität der Bevölkerung, erklärt Andreas Bergthaler von der Medizinischen Universität Wien und vom CeMM – Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Während das Virus für gesunde Menschen weniger gefährlich geworden ist, bleibt es für vulnerable Personen eine Bedrohung.

Herr Bergthaler, baut sich gerade eine Sommerwelle auf?

Andreas Bergthaler: Seit Mai baut sich von niedrigem Niveau ausgehend wieder eine Welle auf. Dies wissen wir dank des Abwasser-Monitorings. Die Einzelfallüberwachung wurde in Österreich wie auch in anderen Ländern weitgehend eingestellt. Sommerwellen hatten wir auch in den vergangenen Jahren, erinnern wir uns an den Sommer 2022.

Die derzeit zirkulierenden Varianten entkommen der Immunantwort ein Stück weiter.

Woran liegt es, dass gerade jetzt wieder eine Welle entsteht?

Bergthaler: Die derzeit zirkulierenden Varianten entkommen der Immunantwort ein Stück weiter. Diese „Immunflucht-Mutationen“ führen dazu, dass das Virus nicht so leicht von unseren Antikörpern neutralisiert werden kann. Weiters kann man annehmen, dass es über die Zeit zu einer schrittweisen Abnahme unserer Antikörper-Immunität kommt. Dadurch können Infektionen leichter auftreten, wenngleich die meisten Personen weiterhin vor schweren Verläufen geschützt bleiben.

Von Alpha bis Omega: Die Covid-Varianten 

Die aktuellen Varianten stammen alle noch von Omikron?

Bergthaler: Seit dem Winter 2021 hat sich der Omikron-Ast weiter verästelt. Und ja, alle aktuellen Mutationen sind auf die ursprüngliche Omikron-Variante zurückzuführen. In Österreich dominieren derzeit vor allem Abkömmlinge der Omikron-Variante JN.1, insbesondere die FLiRT-Varianten, von denen in Österreich die KP.3-Variante zirkuliert.

Und was macht diese KP.3-Varianten aus?

Bergthaler: Diese Varianten haben zwei spezielle Mutationen im Spike-Protein, die ihre Immunfluchteigenschaften verstärken. Laut Abwasserdaten dominierte Ende Juni die KP.3-Variante zu etwa 40 Prozent das Infektionsgeschehen, gefolgt von einer KP.2-Variante mit über 10 Prozent. Diese Varianten wachsen relativ stark und tragen zum Anstieg der derzeitigen Welle bei.

Wie immun sind wir?

Wie steht es insgesamt um die Immunität in der österreichischen Bevölkerung?

Bergthaler: Im Vergleich zu 2019, als kaum jemand starke Antikörper gegen das Virus hatte, haben die meisten von uns inzwischen auf unterschiedliche Weise Immunität aufgebaut – sei es durch Impfungen, Infektionen oder eine Kombination aus beidem, sogenannte Hybridimmunität. Dadurch ist die Gefährlichkeit des Virus für gesunde Menschen insgesamt reduziert. Dennoch stellt das Virus für vulnerable Personen, die keine starke Immunantwort aufbauen können bzw. die Vorerkrankungen haben, ein Gesundheitsrisiko dar. Zusätzlich bleibt auch Long Covid ein Thema.

Das Virus hat sich weiter verändert und ist wahrscheinlich infektiöser geworden.

Die Gefährlichkeit des Virus ist also nicht für jeden gleich?

Bergthaler: Ein Virus sollte immer im Zusammenhang mit dem Wirtsorganismus gesehen werden. Das Virus hat sich weiter verändert und ist wahrscheinlich infektiöser geworden, führt aber im Durchschnitt nicht mehr zu so schweren Krankheitsverläufen. Neben unserem trainierten Immunsystem könnte es daran liegen, dass es verglichen beispielsweise zur Delta-Variante nunmehr eher Zellen im oberen Atemwegstrakt als in der Lunge infiziert.

Welche Impfstoffe sind derzeit verfügbar und wie wirksam sind sie?

Bergthaler: Die derzeitigen Impfstoffe basieren auf der XBB.1.5-Variante. Diese Impfstoffe sind immer noch wirksam, auch wenn sie nicht mehr ganz so gut gegen neuere Varianten wie JN.1 schützen. Für den Herbst werden angepasste Impfstoffe erwartet, die auf JN.1 basieren.

Der beste Schutz: Die Impfung

Wie lange hält generell die Wirkung einer Impfung an?

Bergthaler: Die Impfung liefert einen guten Schutz vor schwerer Krankheit. Dieser Schutz bleibt länger erhalten, da er nicht nur durch Antikörper, sondern auch durch T-Zellen vermittelt wird. In den ersten Monaten nach der Impfung ließ sich auch ein gewisser Schutz vor Ansteckung beobachten, dieser nimmt aber in weiterer Folge rasch ab. Letzteres liegt wohl daran, dass die lokalen Antikörper-Titer in den Eintrittspforten des Virus im Atmungstrakt nicht ausreichend hoch sind.

Würden Sie jetzt im Sommer eine Impfung empfehlen?

Bergthaler: Für Empfehlungen verweise ich in der Regel auf das Nationale Impfgremium. Meine persönliche Meinung ist, dass es für Personen mit Vorerkrankungen oder die zur vulnerablen Bevölkerung zählen, sinnvoll ist, sich regelmäßig impfen zu lassen. Ein Booster reduziert die Wahrscheinlichkeit einer schweren Erkrankung, auch wenn er eine Infektion nicht vollständig verhindern kann.

 

AUF EINEN BLICK

Andreas Bergthaler ist Forschungsgruppenleiter am CeMM - Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und Professor für Molekulare Immunologie an der MedUni Wien. Er studierte an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Seine Forschungsarbeit im Bereich von Virologie und Immunologie führte ihn u.a. an die Universität Zürich, die Universität Genf und das Institute for Systems Biology in Seattle. Im Rahmen eines FWF Exzellenzclusters und weiteren Projekten untersucht er aktuell die im Abwasser enthaltenen Viren und Mikroben. Darüber hinaus entschlüsselt seine Gruppe Veränderungen des Immunstoffwechsels während Virusinfektionen.