27.06.2024 | Hans Tuppy Lecture

Influenza: So gefährlich ist das Grippevirus

Florian Krammer, bekannter Virologe und Impfstoffforscher, hielt am 28. Juni die Hans Tuppy Lecture in Wien, zu der ÖAW und Universität einladen. Im Interview erklärt er, warum Grippeviren so gefährlich sind, wie man sie besiegen könnte und weshalb die nächste Pandemie nur eine Frage der Zeit ist.

Forscher:innen arbeiten weltweit an universalen Impfstoffen, mit denen sich Grippeinfektionen stoppen lassen. Der Österreicher Florian Krammer ist einer von ihnen. © AdobeStock

Die Coronapandemie hat ein anderes, ebenfalls gefährliches Virus in den Hintergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt: Die Grippe. Doch das Grippevirus ist keineswegs harmloser. Schätzungen gehen von weltweit hunderttausenden Toten durch saisonale Grippewellen aus.

Welche Fortschritte die Forschung aktuell bei der Bekämpfung der Grippeviren macht, erklärte der Virologe Florian Krammer bei einer Hans Tuppy Lecture in Wien. Die Hans Tuppy Lectures werden in Gedenken an Hans Tuppy gemeinsam von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Wien einmal jährlich veranstaltet und lassen Wissenschaftler:innen zu Wort kommen, die einen bahnbrechenden Beitrag auf dem Gebiet der Biochemie oder Molekularbiologie geleistet haben. 

Gefährliche Grippe

Warum ist die Erforschung von Grippeviren so wichtig?

Florian Krammer: Influenza tötet immer noch sehr viele Menschen. Während der Coronapandemie haben sich die Opferzahlen aufgrund von Masken, Lockdowns und Distanzierungsmaßnahmen zwar kurzzeitig vermindert, aber diese Pause hält nicht länger an: Die saisonale Grippe tötet laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO jährlich zwischen 290.000 und 650.000 Menschen und verursacht millionenfach schwere Erkrankungen. Neue Grippevirenstämme wie die Vogelgrippe H5N1, die in den USA im März erstmals in Kühen nachgewiesen wurde, könnten in Zukunft auch Probleme bereiten.

Die saisonale Grippe tötet laut Schätzungen der WHO jährlich zwischen 290.000 und 650.000 Menschen.

Wie gefährlich sind neue Stämme?

Krammer: Wenn ein neuer Influenzasubtyp, etwa H5N1, Menschen infiziert, kann das eine Pandemie auslösen. In den vergangenen etwa hundert Jahren hatten wir vier derartige Grippepandemien: 1918 - mit H1N1 - sind zwischen 20 und 100 Millionen Menschen gestorben, 1957 - mit H2N2 - ein bis drei Millionen, 1968 - mit H3N2 - ebenfalls ein bis drei Millionen und 2009 - wieder mit H1N1 - etwa 250.000.

Was macht Grippeviren so erfolgreich?

Krammer: Hauptsächlich ist es die Wandelbarkeit. Die regelmäßigen saisonalen Grippewellen werden durch mehrere verschiedene Virenstämme verursacht, zum Beispiel H1N1, H3N2 und Influenza B. Diese Grippeviren verändern sich ständig und entkommen daher der Immunität in der Bevölkerung. Und im Tierreich gibt es zusätzlich eine enorme Diversität an Influenzasubtypen. An menschliche Zellen docken Grippeviren mit den Varianten H1 oder H3 des Spikeproteins Hämagglutinin an, aber in Tieren gibt es auch H2, H4, H5, und so weiter bis H19. Alle diese Stämme können auch für Menschen potenziell gefährlich werden, wenn sie sich so verändern, dass sie unsere Zellen effizient infizieren können.

Übertragungsweg: Vom Tier zum Menschen

Welche Tiere können Grippe bekommen?

Krammer: Influenzaviren werden in die Typen A, B, C und D eingeteilt. Influenza A kommt in Vögeln und vielen Säugetieren vor, man kann aber zum Beispiel auch Alligatoren damit infizieren. Influenza B hingegen befällt fast ausschließlich Menschen, Influenza C Menschen und andere Säugetiere und Influenza D hauptsächlich Kühe und Schweine. Es gibt aber sehr viele Viren, die mit den echten Influenzaviren verwandt sind, wie etwa das Wuhan Spiny Eel Virus, das in Fischen vorkommt. Es gibt sogar Vermutungen, dass alle Grippeviren ihren Ursprung in Fischen haben.

Grippeviren verändern sich ständig und entkommen daher der Immunität in der Bevölkerung.

Wie springen neue Grippeviren, die Pandemien verursachen, auf den Menschen über?

Krammer: Es gibt zwei Routen. Die direkte ist, wenn etwa ein Vogelgrippestamm spontan auf Säugetiere überspringt und dann mutiert, um besser in Säugetierzellen zu wachsen. Mit H10N7 etwa ist das in der Ostsee in Meeressäugern passiert, das Virus sprang aber dann nicht auf Menschen über. Häufiger ist es, dass es zu Co-Infektionen im Menschen oder anderen Säugern kommt, bei denen ein bereits mit saisonaler Grippe infizierter Mensch einem zweiten Stamm – etwa einem Vogelgrippestamm – ausgesetzt wird. Die Grippeviren tauschen dann in unseren Zellen Erbgut untereinander aus, wodurch neue Stämme entstehen. So kann zum Beispiel ein Virus entstehen, das sehr gut in menschlichen Zellen wachsen kann, aber ein Hämagglutinin (ein Protein, das Viren beim Eindringen in Zellen hilft - Anm.) besitzt, das von Vogelgrippeviren stammt und gegen das wir keine Immunität haben.

Seit wann gibt es die Grippe?

Krammer: Was wir gut bestimmen können, ist, seit wann ein Subtyp wie H1 oder H3 Teil der saisonalen Grippewelle ist. Immer, wenn eine neue Virusvariante eine Pandemie auslöst, wird dieser Erreger danach Teil der regelmäßigen Grippewelle. Der Subtyp H3N2 ist beispielsweise seit der Pandemie von 1968 Teil der saisonalen Grippe. Zu weit in die Vergangenheit können wir so aber nicht schauen. Seit wann es humane Grippe gibt und welche Subtypen historisch vor 1918 - da war es H1N1 - zirkuliert sind, wissen wir deshalb nicht genau.

Influenza-Forschung mit Austro-Know-How

Bei Coronaviren war das Spikeprotein der Schlüssel zum Impfstoff. Klappt das auch mit Grippeviren?

Krammer: Influenza hat im Gegensatz zu SARS-CoV-2 zwei Spikeproteine: Das mit dem Buchstaben H gekennzeichnete Hämagglutinin, um an Zellen anzudocken und die mit N gekennzeichnete Neuraminidase, die den Viren nach der Vermehrung das Loslösen von der Zelle ermöglicht. Influenzaimpfstoffe fokussieren vor allem auf das Hämagglutinin. Grippemedikamente wie Tamiflu nehmen die Neuraminidase ins Visier und können die Vermehrung der Viren im Körper einschränken. Die Grundlagen dafür hat unter anderem Hans Tuppy geschaffen, der mit meinem Post-Doc-Betreuer Peter Palese in den 1960er-Jahren die Neuraminidase erforscht hat. Tuppy ist praktisch mein wissenschaftlicher Großvater, deshalb ist es mir eine besondere Ehre, die Tuppy-Lecture in Wien halten zu dürfen.

Ist dieser Ansatz gegen alle Grippeviren wirksam?

Krammer: Es gibt neun verschiedene Influenza A Neuraminidasen und dann noch Influenza B Neuraminidasen, aber die Medikamente können im Prinzip alle Varianten der Neuraminidase blockieren.

Wir arbeiten an einem universalen Influenzaimpfstoff und wollen das Immunsystem dazu bringen, Teile des Virus zu attackieren, die sich nicht ändern.

Kann man auf dieser Basis einen Impstoff generieren, der gegen alle Stämme wirkt?

Krammer: Wir arbeiten an einem universalen Influenzaimpfstoff, aber das ist nicht trivial. Heutige Impfungen bewirken Immunität gegen einen bestimmten Stamm beziehungsweise eine spezifische Variante, bringen aber keinen breiten Schutz gegen neue Varianten. Mit unseren Impfstoffansätzen die einerseits auf konservierte Teile des Hämagglutinins abzielen, andererseits aber auch auf die Neuraminidase, versuchen wir, das Immunsystem dazu zu bringen, Teile des Virus zu attackieren, die sich nicht ändern.

Wann kommt der universale Impfstoff?

Welche neuen Impfstoffe und Medikamente können wir in den kommenden Jahren erwarten?

Krammer: Es ist unklar, wie lange klinische Prüfungen und Zulassungsverfahren, die hunderte Millionen US-Dollar kosten können, dauern werden. Unsere Impfstoffe, die wir zusammen mit ÖAW-Mitglied Peter Palese entwickeln, wurden bisher in frühen klinischen Studien getestet und haben in diesen Studien eine vielversprechende Immunantwort in Menschen ausgelöst. Aber kostspielige Phase III Studien fehlen noch. Neben den Impstoffen arbeiten wir an monoklonalen Antikörpern, die alle relevanten Neuraminidasen blockieren können. Das ist zwar streng genommen keine Impfung, aber eine derartige Prophylaxe kann potentiell ungefähr ein halbes Jahr lang vor Erkrankungen schützen. Im Falle einer Grippepandemie kann das eine gute Lösung sein und so etwas könnte auch für Risikopatienten eingesetzt werden, um diese während der Influenzasaison vor saisonaler Influenza zu schützen.

Wichtig wäre es, universale Influenzaimpfstoffe zu entwickeln, die nur zwei oder dreimal im Leben gegeben werden müssen.

Das heißt, dass Grippeerkrankungen bald der Vergangenheit angehören könnten?

Krammer: Antikörper als Therapie oder Prophylaxe sind zwar wirksam, wie man auch bei COVID-19 gesehen hat, aber sehr teuer. Während eine Impfung pro Dosis ein paar Euro kostet, kosten Therapien mit monoklonalen Antikörpern tausende Euro pro Behandlung. Wichtig wäre es, universale Influenzaimpfstoffe zu entwickeln, die nur zwei oder dreimal im Leben gegeben werden müssen. Die könnten dann nämlich auch in Ländern eingesetzt werden, in denen eine jährliche Influenzaimpfung aus Kostengründen oder logistischen Gründen nicht möglich ist. Es ist auch anzunehmen, dass solche Impfstoffe zu höheren Durchimpfungsraten in reichen Ländern führen würden, eben weil man nicht jedes Jahr auffrischen muss. Ein solcher Impfstoff würde, wenn er weitflächig genug verwendet wird, die Influenzasituation schon signifikant verbessern.

Was tut der Fachmann, wenn er Grippe bekommt?

Krammer: Er bleibt zuhause, wenn er krank ist, damit sich das Virus nicht weiterverbreitet, holt sich ärztliche Betreuung und schont sich, um langfristige Folgen zu vermeiden. Außerdem ist eine jährliche Grippeimpfung sehr zu empfehlen.

© MedUni Wien/Feelimage

 

AUF EINEN BLICK

Florian Krammer studierte Biotechnologie an der BOKU University in Wien. Seit 2010 erforscht Krammer universelle Grippeimpfstoffe und Impfstoffe gegen COVID, Lassa, Hanta and Ebola am Department of Microbiology an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York. Erst kürzlich, 2024, übernahm Krammer zusätzlich eine Professur für Infektionsmedizin an der Medizinischen Universität Wien.

Alle bisherigen Tuppy Lectures im Überblick.