20.08.2024 | Medizinische Forschung

Der nächste Durchbruch: Impfungen gegen Krebs

Von der bewährten HPV-Impfung, die vor bestimmten Krebsarten schützt, über innovative Vektorimpfstoffe bis hin zu bereits erprobten mRNA-Vakzine, die das Immunsystem aktivieren sollen: Die Forschung macht rasante Fortschritte. Wir haben Wissenschaftler:innen gefragt, wie diese neuen Therapien funktionieren und wie hoffnungsvoll sie sind.

Die Entwicklung von Impfstoffen gegen Krebs machte zuletzt große Fortschritte. © AdobeStock

Wie schön wäre es, wenn es eine Impfung gegen Krebs gäbe! Klingt utopisch? Ist es aber nicht mehr. Tatsächlich gibt es bereits einige prophylaktische und therapeutische Impfstrategien, die besonders vielversprechend sind. Ein Beispiel für eine vorbeugende Maßnahme ist die HPV-Impfung. Der seit 2006 zugelassene Impfstoff schützt vor Humanen Papillomviren (HPV), die für die Entstehung bestimmter Krebsarten wie Gebärmutterhalskrebs verantwortlich sind.

„Humane Papillomviren sind so weit verbreitet, dass sich viele Menschen im Laufe ihres Lebens damit infizieren können“, sagt Maria Sibilia. Sie leitet das Zentrum für Krebsforschung an der Medizinischen Universität Wien und ist Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). „Mit dem Impfstoff kann man die Folgen der Virusinfektion, nämlich Krebs, verhindern“, so die Professorin für Zelluläre und Molekulare Tumorbiologie.

Impfungen helfen Immunsystem auf die Sprünge

Aber längst nicht alle Krebserkrankungen werden durch Viren ausgelöst. Viele entstehen durch genetische Veränderungen in den Zellen. „Unser Immunsystem ist sehr geschickt und kann solche mutierten Zellen erkennen und bekämpfen, doch Krebszellen lernen mit der Zeit sich vor dem Immunsystem zu tarnen“, sagt Sibilia. Ein zentrales Problem bei der Krebsbekämpfung ist die so genannte Immuntoleranz.

„Tumore nutzen negative Signale, sogenannte Checkpoints, um sich vor dem Immunsystem zu verstecken,“ erklärt die molekularbiologische Krebsforscherin. Checkpoint-Inhibitoren, wie sie bereits in der Immuntherapie eingesetzt werden, können diese Tarnung durchbrechen und dem Immunsystem auf die Sprünge helfen, sodass der Tumor von den Immunzellen wieder bemerkt und angegriffen wird – allerdings funktioniert das nicht bei allen Tumoren. Genau hier setzt die Forschung an Impfstoffen gegen Krebs an.

Abgestimmt auf den eigenen Tumor

Ein hoffnungsvoller Ansatz ist die Entwicklung sogenannter Impfvektoren, an der Lukas Flatz forscht. Der Immunologe und Kliniker leitet die Dermatoonkologische Abteilung an der Universität Tübingen. Diese innovativen Impfstoffe nutzen modifizierte Viren, um das Immunsystem gezielt gegen Krebszellen zu mobilisieren. Sie basieren auf abgeschwächten Viren, die starke Immunantworten hervorrufen.

„Besonders bei Melanom, also dem Schwarzen Hautkrebs, haben sich Immuncheckpoint-Inhibitoren als bahnbrechend erwiesen – sie wirken jedoch nur bei Vorhandensein von Killer-T-Zellen“, berichtet Flatz. Um die Wirksamkeit zu verstärken, wird nach Möglichkeit mit Proteinen gearbeitet, die nur in Krebszellen vorkommen. Sie sind spezifischer und verursachen weniger Nebenwirkungen, doch sie erfordern eine personalisierte Behandlung: „Vereinfacht gesagt, muss man für jeden Patienten spezifisch überprüfen, welche Mutationen vorhanden sind und einen individuellen Impfstoff entwickeln,“ sagt Flatz. Aktuell werden Impfstoffe in Phase-2-Studien auch bei Tumoren im Hals-Kopf-Bereich getestet, allerdings nicht mit individuellen Antigenen, sondern mit einem viralen Antigen, also einem Protein von HPV, so der Forscher.

Erprobte Sicherheit von mRNA-Impfstoffen

Vielversprechend sind hier auch mRNA-Impfstoffe, die in den vergangenen Jahren durch die Corona-Pandemie bekannt geworden sind. Daran gearbeitet haben Forscher:innen schon seit Jahrzehnten. Das war auch der Grund, warum in der Pandemie so schnell auf eine wirksame und enorm anpassungsfähige Technologie für Millionen Menschen gesetzt werden konnte, sind Flatz und Sibilia überzeugt.

Manche mRNA-Impfstoffe gehen standardisiert vor, andere personalisiert, wie etwa das Vakzin des US-Pharmakonzerns Moderna. Aktuell wird hier der Tumor sequenziert und ein individuell angepasster Impfstoff hergestellt. „Das ist keine Science-Fiction mehr, sondern bereits Realität“, erzählt Flatz. Dennoch bleibt die Identifizierung relevanter Tumorproteine eine Herausforderung. Bisherige Studien zeigen, dass verschiedene Impfstoffkonzepte funktionieren, doch die systematische Wirksamkeit fehlt noch. „Wir haben noch nicht herausgefunden, was es braucht, damit es bei 80 oder 90 Prozent der Patient:innen wirkt,“ so Flatz.

Der richtige Zeitpunkt für die Impfung

Ein zentrales Problem ist auch der optimale Zeitpunkt für die Impfung. Viele Studien testeten Impfvektoren und mRNA-Impfstoffe bei Patienten mit fortgeschrittenem Krebs. „Zu diesem Zeitpunkt ist es sehr schwierig, eine starke Immunantwort hervorzurufen, die den Tumor effektiv bekämpfen kann,“ sagt der Immunologe und Kliniker. Eine frühere Anwendung, etwa bei Patient:innen mit hohem Rückfallrisiko, könnte erfolgreicher sein.

Flatz ist optimistisch: „In den nächsten Jahren könnte die Impfung zu einer Standardtherapie werden.“ Im Gegensatz zu Chemotherapien, die weder spezifisch noch aktivierend wirken, könnten individualisierte Krebsimpfstoffe zu einer nachhaltigen Heilung führen. Die Erfahrungen mit mRNA-Impfstoffen während der Corona-Pandemie waren auch für die Krebsforschung ein Booster.