13.08.2024 | Medizingeschichte

Ignaz Semmelweis: Retter der Mütter und Feind der Ärzte

Der Arzt Ignaz Semmelweis ist eine der bedeutendsten Personen der österreichischen Medizingeschichte. Trotzdem erfuhr er Zeit seines Lebens viel Ablehnung und starb am 13. August 1865 in der Landesirrenanstalt am Brünnlfeld. ÖAW-Medizinhistorikerin Daniela Angetter-Pfeiffer über den Pionier der Krankenhaushygiene, der von den Ärzten seiner Zeit gemobbt wurde.

Hygiene auf Geburtenstationen waren zu Semmelweis' Zeiten keine Selbstverständlichkeit. © Adobe Stock

Handhygiene und sterile Instrumente sind in der modernen Medizin selbstverständlich. Zur Zeit von Ignaz Semmelweis legten Ärzte darauf allerdings keinen Wert. Anlässlich seines Todestags spricht Daniela Angetter-Pfeiffer vom Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) über Semmelweis und seine bahnbrechende Entdeckung.

Ein Pionier der Medizin 

Wer war Ignaz Semmelweis?

Daniela Angetter-Pfeiffer: Ignaz Semmelweis hat als Gynäkologe und Geburtshelfer im 19. Jahrhundert in Wien und Pest (Ungarn) gewirkt und sehr viel für die Gesundheit der Frauen, vor allem im Bereich der Geburt, getan. Er stammt aus dem heutigen Budapest, hat in Wien und Pest studiert und dann seine Karriere an der ersten Gebärklinik in Wien begonnen. Er ist heute bekannt als „Retter der Mütter“, weil er die Ursachen für das Kindbettfieber entdeckt hat. Er ist aber zu Lebzeiten mit seinen Entdeckungen auf ganz wenig Verständnis gestoßen.

Er ist heute bekannt als „Retter der Mütter“, weil er die Ursachen für das Kindbettfieber entdeckt hat.

Wie hat er entdeckt, dass die Handhygiene so wichtig ist?

Angetter-Pfeiffer: Er war an der ersten Gebärklinik des Wiener Allgemeinen Krankenhauses angestellt. Dort sind zu Semmelweis‘ Zeiten unglaublich viele Frauen am Kindbett verstorben. Das Kindbettfieber war bereits seit der Antike bekannt. Aber als Frauen begonnen haben, ihre Kinder in Spitälern auf die Welt zu bringen, sind sehr viele daran gestorben. Semmelweis hat beobachtet, dass an der zweiten Gebärklinik des Krankenhauses viel weniger Mütter versterben.

Die Entschlüsselung des Kindbettfiebers

Was war der Grund?

Angetter-Pfeiffer: Es wurde 1839 ein Gesetz beschlossen, dass Ärzte und Studenten an der ersten Gebärklinik aus- und weitergebildet wurden und Hebammen an der zweiten. Ärzte und Studenten waren wiederum oft im Leichenkeller. Wenn eine Frau eine Komplikation bei der Schwangerschaft hatte oder das Kind auf die Welt gekommen ist, wurden die Mediziner einfach aus dem Keller gerufen. Vielleicht haben sie sich gerade noch schnell die Hände mit Seife und Wasser gewaschen. Jedenfalls hatten sie, als sie dann zur werdenden Mutter gegangen sind, noch Leichengift an den Händen. Sie haben auch vaginale Untersuchungen vorgenommen, was die Hebammen an der zweiten Gebärklinik nicht taten. Semmelweis hat dann sehr viele Forschungen angestellt und bei der Obduktion immer die gleichen Symptome gesehen, die eben auf eine Blutvergiftung hindeuten.

Welche Maßnahmen hat Semmelweis letztendlich umgesetzt?

Angetter-Pfeiffer: Alle seine Studenten und Ärzte mussten die Hände mit Chlorkalkwasser reinigen. Er hat auch Waschschüsseln aufgestellt und jeder musste, bevor er eine Frau untersucht, sich die Hände entsprechend desinfizieren, also nicht nur mit Wasser und Seife reinigen.

Viele Ärzte hielten das überhaupt für reine Zeitverschwendung.

Wie ist das bei der Ärzteschaft angekommen?

Angetter-Pfeiffer: Das hat bei den Ärzten massiven Widerstand hervorgerufen, weil diese Chlorkalklösung unangenehm für die Hände war, sie rissig und rau gemacht hat. Viele Ärzte hielten das überhaupt für reine Zeitverschwendung. Dazu kam, dass Semmelweis quasi seinen Kollegen einen Spiegel vorgehalten hat. Viele hatten das Gefühl, dass sie am Tod der Mütter schuld sind. Das ist natürlich schwer zu verkraften.

Widerstand aus den eigenen Reihen

Gab es Widerstand gegen seine Entdeckung?

Angetter-Pfeiffer: Sein Chef Anton Klein hatte absolut kein Verständnis, genauso wenig Anton von Rosas. Die beiden haben Semmelweis gemobbt, würde man heute sagen und versucht aus Wien zu vertreiben, was ihnen dann ja auch gelungen ist. Es kam auch aus dem Ausland viel Widerstand. Außerdem hat Semmelweis nicht viel publiziert und kaum Vorträge gehalten. Er hat zwar unterrichtet, auch Hebammen, aber insgesamt zu wenig auf seine Erkenntnisse aufmerksam gemacht. Als 1861 sein großes Buch zum Kindbettfieber, Die Aetiologie, der Begriff und die Prophylaxis des Kindbettfiebers, erschienen ist, waren die Diskussionen um seine Forschungen schon zu verfahren.

Um seinen Tod ranken sich einige Legenden, auch weil man seinen Heldenmythos vielleicht unterstreichen wollte.

Semmelweis‘ Leben endete tragisch. Was ist mit ihm geschehen?

Angetter-Pfeiffer: Semmelweis ist am Ende seines Lebens psychisch schwer krank gewesen, hat sich teilweise zurückgezogen, war aber auch sehr jähzornig. Kollegen von ihm haben ihn in die Landesirrenanstalt am Brünnlfeld einliefern lassen. Um seinen Tod ranken sich einige Legenden, auch weil man seinen Heldenmythos vielleicht unterstreichen wollte. So wurde gesagt, er sei in der psychiatrischen Einrichtung von Pflegekräften misshandelt worden und habe Selbstmord begangen. Semmelweis ist aber an einer Blutvergiftung verstorben. Tragisch auch deswegen, weil es genau jene Erkrankung war, zu der er sein Leben lang geforscht hat.

Wann wurden seine Erkenntnisse schließlich doch angenommen?

Angetter-Pfeiffer: Nachdem Semmelweis Wien verlassen hat, hat man die Chlorkalkwaschlösungen sofort entfernt, sie dann aber 1858 wieder eingeführt. Man hat also sehr wohl gemerkt, dass Hygiene notwendig ist. Allerdings hat man dafür rund 10 Jahre gebraucht. Heute besteht an der Wirksamkeit von Semmelweis‘ Methoden kein Zweifel mehr.

 

AUF EINEN BLICK

Daniela Angetter-Pfeiffer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen neben Medizin-, Naturwissenschafts- und Militärgeschichte. Ihr Buch "Als die Dummheit die Forschung erschlug. Die schwierige Erfolgsgeschichte der österreichischen Medizin" erhielt 2024 den Wissenschaftsbuchpreis in der Kategorie Medizin/Biologie, ebenso der Titel "Pandemie sei Dank!" im Jahr 2022.