Pauken und Trompeten ertönten im Europa des 18./19. Jahrhunderts üblicherweise nur, wenn Fürsten öffentlich auftraten. Eine Ausnahme war der 27. März 1808. An dem Abend wurde diese Ehre auch Josef Haydn zuteil, als er zu seinem letzten öffentlichen Auftritt in den Festsaal der heutigen Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) getragen wurde. „Das war völlig ungewöhnlich und zeigte, wie sehr Joseph Haydn damals verehrt wurde", erklärt der Musikwissenschaftler Gernot Gruber, der wirkliches Mitglied der ÖAW ist.
Bedeutendster Instrumentalkomponist seiner Zeit
Seit Ende des 18. Jahrhunderts galt Joseph Haydn in ganz Europa als der bedeutendste Instrumentalkomponist seiner Zeit; noch vor Wolfgang Amadeus Mozart, erzählt der Musikexperte. „Die Schöpfung“ löste aber einen zusätzlichen Hype aus. „Bis dahin wurde Haydn nämlich vor allem für seine Symphonien verehrt und feierte kurz zuvor in London große Erfolge damit. Dass er nun mit einem Oratorium, also einer Vokalmusik mit Textvertonung zurück nach Wien kam, sorgte noch einmal mehr für Begeisterung."
Der Festsaal gehörte damals der Universität Wien, hier konnte man nicht einfach ein Konzert veranstalten. Es waren also besondere Ausnahmen.
Dass Haydns „Die Schöpfung“ und damit die Geschichte, als Gott die Welt in sieben Tagen erschuf, derart viel positive Resonanz erfuhr, war jedoch kein Zufall, so Gruber. „Die große Ergriffenheit der Musiker bei der Aufführung hat unter anderem mit der aufgeklärten Religiosität zu tun." Demnach widmete sich Haydn weniger dem Sündenfall von Adam und Eva: „Vielmehr wird dieser nur angedeutet“, so Gruber. Im Zentrum aber steht die Erhabenheit und Vollkommenheit der Schöpfung – der Erde, der Natur und des Menschen. „‚Die Schöpfung‘ ebenso wie Haydns ‚Die Jahreszeiten‘ sind Werke, die eine Lobpreisung Gottes in der von Gott geschaffenen Natur vollziehen“, so der ÖAW-Musikwissenschaftler.
Joseph Haydns Komposition war jedoch nicht nur schön, sondern wurde in vielen Texten als erhaben beschrieben – ein Begriff, der damals in der Gesellschaft sowie der Literatur viel diskutiert wurde. „Entscheidend waren vor allem die ersten paar Minuten des Oratoriums, in denen das Chaos vorgestellt wurde. Diese Stelle wurde sowohl vom Orchester als auch vom Publikum unglaublich bewundert und berührte die Menschen“, ergänzt Gruber und fügt ein Zitat des Musikkritikers und Komponisten Karl Friedrich Zelter aus dem Jahr 1802 hinzu: „Alles zusammen macht in seiner Verbindung mit der dunklen Vorstellung eines Chaos ein unendlich vortreffliches Gewebe, worin die Führung der Modulation unbeschreiblich schön und an vielen Stellen zur Bewunderung erhaben und groß ist.“
Musikalische Antwort auf Napoleon
Joseph Haydn traf mit seiner Schöpfung den Nerv der damaligen Zeit. Auch die Geschehnisse rund um Wien verliehen dem Werk zusätzlich Bedeutung. „Im Jahr vor der Fertigstellung des Oratoriums im Jahr 1798 griff Napoleon Bonaparte das Habsburgerreich von Italien aus an, gewann hier an Gebiet und bedrohte damit zunehmend Wien.“ Die Bevölkerung reagierte darauf, so Gruber, mit patriotischem Stolz, nach dem Motto: „Wir sind auch wer.“ Vor allem im Bereich der Kunst, Kultur und Musik sah man sich überlegen.
Mit Haydn schwappte das Kulturheroentum auch auf die Komponisten über.
Selbst wenn man also im Krieg verlor, war man zumindest hier stark. Auch dabei spielte Joseph Haydn eine entscheidende Rolle: „Mit ihm schwappte das Kulturheroentum auch auf die Komponisten über“, so Gruber. Bis dahin wurde diese Ehre nur Literaten und Malern zu Teil. Nun im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert beginnt man auch Musikschaffende zunehmend zu verehren. „Das zeigt sich auch darin, dass Meisterwerke der Musik in einem Kanon etabliert wurden, ähnlich wie zuvor in der Malerei. Haydn war dabei nach Georg Friedrich Händel in London ein Vorreiter“, erzählt Gernot Gruber.
Haydn am Originalschauplatz hören
Aber nicht nur in Sachen Musik erfuhr der Komponist Nachahmer. Auch was die Wahl des Auftrittsortes anbelangt, inspirierte Haydn seine Kollegen. Unter ihnen keinen geringeren als Ludwig van Beethoven. „Der Festsaal gehörte damals der Universität Wien, hier konnte man nicht einfach ein Konzert veranstalten. Es waren also besondere Ausnahmen.“ Knapp 210 Jahre nach Haydns letztem Auftritt wiederholte sich einmal mehr diese „Ausnahme“. Zur Eröffnung des 29. Haydnfestivals brachte am 24. August 2017 das Orchestre National d'ile de France mit dem Wiener Kammerchor unter der Leitung von Enrique Mazzola „Die Schöpfung“ wieder an den Originalschauplatz in den Festsaal der ÖAW zurück.