21.04.2016

Die Rätsel der Chromosomen

Sie sind ein Raumwunder – Chromosomen verstauen unser gesamtes Erbgut im mikroskopischen Kern jeder einzelnen Zelle. Wie das genau funktioniert, erklärte der Biochemiker Kim A. Nasmyth bei der ersten „Hans Tuppy Lecture“.

Bild: ÖAW/Daniel Hinterramskogler
Kim A. Nasmyth. Bild: ÖAW/Daniel Hinterramskogler

DNA, Chromosomen und Mitose sind vielen spätestens seit dem Biologieunterricht bekannt, wenn auch nicht immer geläufig. Zur Auffrischung: Jede menschliche Zelle besitzt einen kompletten Satz von 46 Chromosomen. Sieht man genauer hin, so bestehen diese aus langen, aufgezwirbelten DNA-Strängen, auf denen das gesamte Erbgut gespeichert ist. Insgesamt zwei Meter DNA verstaut eine Zelle so in den zylinderförmigen Chromosomen in ihrem Kern – hier ist großes Verpackungstalent gefragt.

Würstel statt Knödel

Doch wie macht das die Zelle? Und warum haben Chromosomen eine Zylinder-Form? Anders gefragt: „How to Build a Chromosome?” Es ist ein Mysterium, räumte Kim A. Nasmyth, Biochemiker an University of Oxford, ein, der unter diesem Titel am 14. April 2016 die erste „Hans Tuppy Lecture“ von Österreichischer Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und Universität Wien im Festsaal der ÖAW hielt.

Denn damit aus DNA-Strängen Chromosomen werden, müssen sie sich enorm verdichten. Aufgrund physikalischer Gesetze würden sie dadurch eigentlich zu Kugeln werden. Doch warum sind sie es nicht oder in den Worten Nasmyths: „Warum sind Chromosomen Würstel und keine Knödel?“ Dass der renommierte Biochemiker auf diese Frage (noch) keine Antwort geben kann, machte klar, dass die Erforschung von Chromosomen für die Life Sciences nach wie vor eine große Herausforderung darstellt.

Rätselhafte Zellteilung

Eine solche Herausforderung ist beispielsweise auch der Vorgang der Mitose bzw. Zellteilung. Nasmyth zeigte das an einem vermeintlichen Detail aus dem Ablauf der Mitose. Bevor sich eine Zelle teilen kann, muss sie die komplette Erbinformation kopieren, damit sie später gleichmäßig auf die Tochterzellen verteilt werden kann. Deshalb besteht jedes Chromosom aus zwei identischen DNA-Molekülen. Diese sind parallel zueinander angeordnet und werden unter dem Mikroskop als Schwesterchromatiden sichtbar, die in der Mitte zusammenhängen. Bei der Zellteilung ziehen sogenannte Mikrotubuli die Chromatiden auseinander und es bilden sich zwei Tochterzellen.

Die Frage ist nun: Was hält die Schwesterchromatiden zunächst zusammen und was löst dann die Verbindung? Die Antwort darauf, die Nasmyth und seine Kolleg/inn/en vor knapp zehn Jahren entdeckten, lautet: Cohesin. Dabei handelt es sich um ein ringförmiges Molekül, das die Aufgabe hat, die verdoppelten Chromosomen wie ein Gummiband so lange zusammenzuhalten, bis der richtige Moment für ihre Trennung gekommen ist.

Cohesin im Forschungsfokus

„Cohesin spielt eine sehr wichtige Rolle bei der Mitose. Es gäbe ansonsten nur Chaos in der Zelle und es würden beispielsweise die falschen Chromosomen auf die Tochterzellen verteilt werden“, so Nasmyth. Gelöst oder vielmehr aufgeschnitten wird das Gummiband dann vom Enzym Separase – der Startschuss für die Zellteilung.

Zwischen diesen Vorgängen können aber Jahrzehnte liegen. So werden die ersten Eizellen bei Mädchen bereits im Neugeborenen-Alter gebildet, sagte Nasmyth. „Bis es zur Teilung kommt, verharren die verdoppelten Chromosomen und werden von Cohesin beständig zusammengehalten.“

Cohesin benötigt für den Zusammenhalt der DNA übrigens Unterstützung. Hier kommt Condensin ins Spiel, ein Proteinkomplex, der Cohesin sehr ähnlich ist. „Wir gehen davon aus, dass Condensin kleine Schlaufen in der Chromatinfaser macht, die dann befestigt bzw. geklammert werden. Noch konnten wir dieses Modell nicht beweisen“, erklärte der Mikrobiologe. „Vor zwei Jahren lieferten aber Physiker die gleiche Erklärung, ohne dass sie unser Modell zuvor kannten – das ist sehr interessant für uns.“

Dass es sich bei diesen Rätseln der Biologie nicht um rein akademische Fragen handelt, zeigen aktuelle Arbeiten aus der Grundlagenforschung, wie sie auch an der ÖAW betrieben wird. So legte eine kürzlich im Journal „Current Biology“ publizierte Studie des ÖAW-Instituts für molekulare Biotechnologie nahe, dass der Cohesin Ring, der die Chromatiden in den Eizellen einer Frau zusammenhält, im zunehmenden Alter instabil wird. Dies könnte eine Ursache für das Auftreten von fehlerhafter Chromosomenaufteilung und Aneuploidie sein, einer Genmutation, bei der einzelne Chromosomen zusätzlich vorhanden sind oder fehlen.