31.08.2016

BUDDHISMUS AUF PALMBLÄTTERN

Sommerserie Young-Academics: Der ÖAW-Philosophiehistoriker Patrick McAllister erforscht bis zu 1000 Jahre alte Handschriften des indischen Mittelalters. Deren Edition ermöglicht der internationalen Fachwelt Einblicke in die Entwicklung des Buddhismus.

Es war einer jener glücklichen Zufälle der Geschichte: Als indische Mönche ab dem 8. und 9. Jahrhundert ihre Sanskrit-Handschriften von Indien nach Tibet mitbrachten, wussten sie nicht, dass sie damit deren Erhalt für die heutige Nachwelt sichern würden. Denn die mittelalterlichen Gelehrten verfassten ihre Texte auf Palmblättern, die im feucht-warmen Klima Indiens keine 1200 Jahre hätten überstehen können. In Tibet sieht es dagegen ganz anders aus. Das kühle und trockene Klima der tibetischen Hochebene bot geradezu ideale Bedingungen, um die kostbaren und empfindlichen Werke aus organischem Material bis in die Gegenwart zu konservieren. 

Wertvolle Zeugnisse des Buddhismus

„Um die Achse Indien-Tibet haben viele Jahrunderte hindurch kulturell mannigfaltige Wechselwirkungen stattgefunden. Ein Ergebnis davon war, dass wertvolle Zeugnisse des indischen Buddhismus vor ihrem Zerfall bewahrt wurden", sagt Patrick McAllister vom Institut für Kultur- und Geistesgeschichte Asiens (IKGA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Der Experte für Philosophie des indischen Buddhismus arbeitet an einem chinesisch-österreichischen Kooperationsprojekt mit, das die in den 1930er Jahren in tibetischen Klosterbibliotheken wiederentdeckten Schriften systematisch aufarbeitet.

Palmblätter mit Zukunft

Ziel des Projekts ist es, von den Handschriften eine wissenschaftlich-kritische Edition anzufertigen und sie damit für weitere Forschungen verfügbar zu machen. Bislang sind in einem Zeitraum von über zehn Jahren bereits 19 Bände in der Reihe „Sanskrit Texts from the Tibetan Autonomous Region“, die vom Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem China Tibetology Publishing House herausgegeben wird, erschienen. Da es sich bei dem Großteil der Schriften um erstmals in der Originalsprache zugängliche Werke handelt, liegt die größte Herausforderung dieses geisteswissenschaftlichen Mammutprojekts in der inhaltlichen und historischen Zuordnung der Schriften. Denn jedes Manuskript ist wie ein loses Puzzlestück, das McAllister und seine Kolleg/innen identifizieren, entziffern und im Abgleich mit anderen Quellen in einen Kontext einordnen müssen. „Was wir bei dem Projekt machen, ist die Grundlage für künftige, philologisch fundierte Forschungen zu erarbeiten“, sagt der 37-jährige Wiener mit österreichisch-irischen Wurzeln – quasi Grundlagenforschung aus dem Lehrbuch. Denn eine systematische Quellenaufbereitung liefert die Basis für die spätere Interpretationsarbeit.

So könnte eine systematische Analyse der Texte etwa dabei helfen, entscheidende Entwicklungsschritte des indischen Buddhismus zu rekonstruieren. Doch bis es soweit ist, gilt es noch zahlreiche jener Dokumente, die Jahrhunderte lang gut konserviert auf dem Dach der Welt in Vergessenheit geraten waren, zu entschlüsseln und ihre Botschaften nach modernen wissenschaftlichen Standards zugänglich zu machen.