Krems a.d. Donau, Karte
Text: Simon Hadler
An der Ecke Obere Landstraße und Gaheisgasse in Krems befindet sich in der Höhe des ersten Stocks eine Madonnenfigur. Die Muttergottes, die auf einem zu Boden gestürzten Türken steht, wurde vom Bildhauer Matthias Schwanthaler (1645–1686/87) bald nach der Zweiten Wiener Türkenbelagerung geschaffen.
Ein Sprössling aus der Bildhauer-Dynastie Schwanthaler
Ein Sprössling aus der Bildhauer-Dynastie Schwanthaler
Krems an der Donau war im Jahr 1683 zwar nicht von Angriffen osmanischer Truppen betroffen, doch Kaiser Leopold I. kam bei seiner Flucht aus Wien durch die Stadt. Auch Teile der Entsatztruppen zogen bei ihrem Anmarsch hier vorbei. Der in Krems ansässige Bildhauer Matthias Schwanthaler schuf im Anschluss an diese Ereignisse – als Entstehungszeitpunkt wird spätestens das Jahr 1685 angenommen (Kühnel 1963: 32) – eine Holzskulptur, welche die Muttergottes auf einem Türken stehend darstellt. Es ist eines der wenigen Werke, die eindeutig dem Künstler zugeordnet werden können. Neben dieser Statue stammen auch die Figuren am Hochaltar und auf den Seitenaltären der Kremser Bürgerspitalskirche von ihm, von seinen Arbeiten für das Stift Göttweig sind noch vier Putten für den Altar der Kapelle des Hellerhofs erhalten. (Wutzel 1974: 140) Im Vergleich zu anderen Mitgliedern seiner Familie erlangte Matthias Schwanthaler jedoch keine große Bekanntheit. Die Bildhauer-Dynastie, die durch den wahrscheinlich aus der Umgebung Altöttings im Jahr 1632 nach Ried im Innkreis ausgewanderten Hans Schwanthaler (Schwabenthaler) begründet wurde, brachte bis ins 19. Jahrhundert Skulpteure hervor. Zu den berühmtesten Werken der Familie zählt die Bavaria in München, an der Ludwig Schwanthaler (1802–1848) wesentlich beteiligt war.
Matthias Schwanthaler wuchs am Stammsitz der Familie in Ried auf, wo er bei seinem weit berühmteren Bruder Thomas (1634–1707), der die Werkstatt nach dem Tod des Vaters übernommen hatte, das Handwerk lernte. 1673 heiratete er in Krems die Witwe eines anderen Bildhauers und bezog jenes Haus, an welchem heute die so genannte Türkenmadonna zu sehen ist. (Kühnel 1963: 30f)
Maria, auf den besiegten Feind tretend
Die eine Mitrakrone tragende Muttergottes hält in ihrer Linken das segnende Jesuskind mit Weltkugel, in ihrer Rechten hält sie ein Zepter. Sie ähnelt in ihrer Gestalt der „Patrona Bavariae“ Hubert Gerhards (1593) vor dem Münchner Rathaus. Statt auf einer Mondsichel steht Schwanthalers Madonna jedoch auf einem am Boden liegenden Türken, der durch seinen Turban und seinen in der rechten Hand liegenden Säbel als solcher identifizierbar ist. (Kühnel 1971: 282)
Die Darstellung Mariens mit einer Mondsichel unter ihren Füßen hat eine jahrhundertelange Tradition, doch im Zuge der Konfrontation mit dem Osmanischen Reich wurde aus einem vieldeutigen Symbol ein Zeichen des christlichen Sieges über den Islam. Die Ersetzung des Mondes durch einen Türken ist in dieser Umdeutung begründet und greift gleichzeitig auf seit der Antike bekannte „calcatio“-Darstellungen (von lat. calcare: treten, mit Füßen treten) zurück, auf welchen der Sieger auf den Feind tritt. Schwanthaler wählte damit ein vor allem in den Jahrzehnten nach 1683 sehr beliebtes Motiv, in welchem der Wandel des Türkenbildes vom bedrohlichen Gegner zum erniedrigten Besiegten zum Ausdruck kommt. Häufig tritt dieses Motiv in Verbindung mit einer barbarisierenden Darstellung des Türken auf. Beispiele dafür sind die Kapistrankanzeln an der Außenseite des Wiener Stephansdomes und in der Pfarrkirche im niederösterreichischen Katzelsdorf. Auch eine Statuette Matthias Steinls (um 1644–1727) im Kunsthistorischen Museum in Wien zeigt einen am Boden liegenden Türken. In diesem Fall tritt das Pferd Kaiser Leopolds I. auf den sich windenden Feind.
Die Rückkehr in die Öffentlichkeit
Die Rückkehr in die Öffentlichkeit
Die Madonnenfigur befand sich nicht durchgehend an ihrem wohl ursprünglichen und auch heutigen Standort. 1964 wurde sie vom Bundesdenkmalamt renoviert – unter anderem wurden der Säbel und einige Finger Mariens und Jesu erneuert (Kühnel 1971: 282) –, danach kam sie als private Leihgabe in das Kremser Stadtmuseums, wo sie sich jedenfalls noch im Jahr 2007 befand. (Demus-Schneider 2007: 71) Heute jedoch ziert die triumphierend auf dem besiegten Türken stehende Muttergottes wieder den öffentlichen Raum in Krems. Der künstlerische Wert wird wohl nicht der Grund dafür gewesen sein, wenn man der Einschätzung des Autors eines Ausstellungsbandes glaubt: „Zusammenfassend kann man sagen, daß Matthias Schwanthaler bei aller Beherrschung des Handwerks über ein mittleres künstlerisches Niveau nicht hinausgekommen ist.“ (Wutzel 1974: 141)
Literatur
Literatur
Demus-Schneider, Dorothea (2007): Die Bildhauerdynastie Schwanthaler. Diplomarbeit. Wien.
Kühnel, Harry (1963): Bildhauer des 17. und 18. Jahrhunderts. Matthias Schwanthaler. In: Mitteilungen des Kremser Stadtarchivs 3, S. 30–32.
Kühnel, Harry (Hg.) (1971): 1000 Jahre Kunst in Krems. Veranstaltet von der Stadt Krems an der Donau. 28. Mai bis 24. Oktober 1971. Dominikanerkloster Krems, Niederösterreich. Zweite, verbesserte Auflage. Krems an der Donau.
Wutzel, Otto (Hg.) (1974): Ausstellung des Landes Oberösterreich: Die Bildhauerfamilie Schwanthaler. 1633–1848. Vom Barock zum Klassizismus. Augustinerchorherrenstift Reichersberg am Inn. 3. Mai bis 13. Oktober 1974. Linz.