05.07.2024

Sounds & Sights of Science #31

MELOGRAPH: TÖNENDE REKLAME IST DIE BESTE! – vorgestellt von Georg Kräutel-Höfer

WAS IST ZU HÖREN?


Zwei „tönende Reklamen“ aus den frühen 1930er Jahren, aufgenommen auf einer Melograph-K-Direktschnittplatte (Abb. 1). Beworben werden Wolle und Dirndlstoffe der Firma „Josef Krause“ aus Floridsdorf. Der erste „Spot“ ist gereimt, beide erzielen einen akustischen Effekt mit einem kleinen Becken. Die Qualität der Aufnahme ist durch das Direktschnittverfahren in – nach der Aufnahme gehärtete – Gelatine gekennzeichnet.

Das werbende Unternehmen hatte wohl ein Faible für effektvolle Reklame beim (bürgerlichen) Publikum, wie ein prominent platziertes Zeitungsinserat aus der Reichspost unterstreicht (Abb.2).

WAS IST DARAN BESONDERS INTERESSANT?


Die Klangästhetik erinnert zunächst an eine Kaufhausdurchsage, aber wozu die Angabe einer genauen Adresse in Wien-Floridsdorf? Aktuelle Recherchen zu Direktschnittplatten in Artikeln und Inseraten aus der Entstehungszeit legen nun nahe, dass es sich um eine Tonspur zu Diapositiv-Reklame im Kino handeln könnte. In einem Artikel im Kino-Journal wird die Anschaffung eines Melograph-Aufnahme-Apparates für Kinos mit zweierlei Nutzen beworben: Zum Attraktivieren der Werbeschaltungen vor den Filmen und der Möglichkeit von Sofortaufnahmen als „reizvolle Neuheit für die Kinobesucher und Passanten“. Solche wurden in den Jahren 1930 bis 1933 vom Wiener Hersteller Melograph beworben, der in Wien mehrere sogenannte Aufnahmestudios betrieb. Besonders oft in Inseraten erscheint jenes im Kaufhaus Gerngross, welches mit einem Melograph-Apparat Type 3 (Abb. 3) ausgestattet war.


Die Platten selbst gab es in drei Ausführungen und unterschiedlichen Größen:

• Die Melograph-Ton-Platte: komplett aus Gelatine, transparent bzw. in unterschiedlichen Farben eingefärbt; ein Unterlagskarton war beigelegt (vgl. Abb. 4)
• Die Melograph-K-Platte: zweiseitig bespielbar und auf Karton kaschiert (vgl. Abb. 1)
• Die Melograph-M-Platte: wie K, jedoch auf Metall kaschiert (vgl. Abb. 5)

Das System Melograph wurde im Vergleich zu seinen Mitbewerbern in Fachkreisen als technisch ausgefeilter und ernstzunehmender beschrieben. So fand es auch Einzug ins Phonogrammarchiv. Laut dem Inventurregister wurden zwei „Melograph“-Aufnahmeapparate angeschafft. Einer vor 1930 um 600 Kronen, der zweite am 16. November 1935 um nur noch 245 Kronen. Der Preisunterschied erklärt sich durch dokumentierte Liquiditätsprobleme der „Melograph“-Heimtonplatten-Vertriebs G.m.b.H. Katscher & Co, deren Auflösung 1933 und schließlich das Ableben des Erfinders Sigmund Katscher am 24. November 1934.

WIE BESCHÄFTIGE ICH MICH DAMIT?


Die Platte ist ein Zufallsfund, der im Zuge des Projekts SONIC MEMORIES. AUDIO LETTERS IN TIMES OF MIGRATION AND MOBILITY zu Tage trat. Neben den Audiobriefen, die beforscht werden, stellt diese Reklameplatte eine unterhaltsame Abwechslung dar, auch durch den Kontrast zwischen der bemüht plakativen Sprache und der eher lieblosen Beschriftung „Krause Wolle“ auf der Platte (vgl. Abb. 1).

Sie zeigt aber auch, wie sich zusätzliche Nutzungsmöglichkeiten einer Innovation – nach deren Etablierung und einem erleichterten Zugang – weg von der ursprünglichen Intention (diese war wohl der „gesprochene Brief“) entwickeln können. Kulturhistorisch relevant ist auch der Stellenwert, den Inserate und Reklame damals hatten. Das System Melograph war, trotz der kurzen Existenzdauer des Herstellers, eines der verbreitetsten Aufnahmesysteme für Direktschnittplatten in Wien. Dies hat, neben der soliden technischen Ausführung, sicherlich auch in der auffällig häufigen Bewerbung ab Oktober 1930 seinen Grund (vgl. Abb. 6-8).

 


Georg Kräutel-Höfer ist Restaurator, spezialisiert auf Technisches Kulturgut, und unterstützt das SONIME Projekt bei konservierungswissenschaftlichen Fragen und Recherche.

 

Quellen:

• Artikel: „Was den Kinobesitzer interessiert: Melograph“ (Das Kino-Journal, Nr. 1158, S. 10)
• Artikel: „Der Melograph“ (Radio-Amateur, Jg. 6, S. 558)
• Inserat: „Josef Krause“ (Reichspost, Jg. 32, Nr. 176, S. 44)
• Inserat: „Ton-Foto“ (Die Stunde, Nr. 2789, S. 7)
• Inserat: „Tönende Reklame“ (Die Stunde, Nr. 2792, S. 7)
• Inserat: „Ihre Stimme als Ostergruß“ (Die Stunde, Nr. 3028, S. 10)