05.04.2024

SOUNDS & SIGHTS OF SCIENCE #28

MATERIALITÄT UND RÄUME KOLONIALER GESCHICHTEN: EIN SITUIERTER BLICK IN KOLONIALE ARCHIVE IN WIEN – vorgestellt von Alexander Silaen

WAS IST ZU SEHEN?

Die von mir ausgewählten Bilder illustrieren verschiedene Aspekte meiner Arbeit: Ein Bild zeigt einen der vielen Archivräume, in denen ich forsche (Bild 1 – aus der Anthropologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien), ein weiteres meine Arbeitspraktiken mit Diapositiven (Bild 2 – aus der Lehrdiasammlung des Instituts für Evolutionäre Biologie, Universität Wien), und schließlich eine für das Projekt „Zur kolonialen Verstrickungsgeschichte von Tonaufnahmen: Die Expedition des Wiener Anthropologen Rudolf Pöch nach Papua-Neuguinea (1904–1906) wichtige Quelle – einen historischen Zeitungsartikel aus der amerikanischen Zeitung The Sun (Bild 3).
 

WAS IST DARAN BESONDERS INTERESSANT?

Die oft unsichtbaren (kolonialen) Archivräume, in denen Forschende mit historischen Quellen arbeiten, haben einen signifikanten Einfluss auf die Forschungssituation und das Wohlbefinden der an der Aufarbeitung kolonialer (Gewalt-)Geschichten Teilhabenden. Zudem veranschaulichen die Bilder unterschiedliche Forschungspraktiken und die Vielfalt der Quellen, mit denen ich mich auseinandersetze. Ihre Materialität, sei es Glas, Papier oder digitale Kopien, zwingt die Forschenden zu einem sorgsamen und kritischen Umgang mit den historischen Quellen. Das zweite Bild illustriert unter anderem den situierten Blick von mir auf visuelle Dokumente. Dabei ist es wichtig hervorzuheben, dass soziale, ökonomische, politische, geschlechtsspezifische, rassifizierte und bildungsbiografische Lebensrealitäten eine entscheidende Rolle bei der Analyse kolonialer Geschichten spielen. Diese Umstände muss ich ständig in Relation zu meinen Mitwelten kritisch hinterfragen.

WIE BESCHÄFTIGE ICH MICH DAMIT?

Fotografien, Zeitungsartikel und Tonaufnahmen zirkulier(t)en in verschiedenen Räumen und Kontexten, wobei sich ihre Bedeutungen durch ihren spezifischen Gebrauch ständig verändern. Diese Medien unterliegen permanenten Rekontextualisierungen und Diskursen, wodurch ihre (sozialen) Bedeutungen immer wieder neu verhandelt werden. In meinem Projekt beschäftige ich mich unter anderem mit den kolonialen Infrastrukturen, die hinter den Quellen stehen. So verdeutlichen beispielsweise die Beschriftung des Diapositivs und der am rechten Bildrand zu sehende Teil des Dampfers „Valk“ die hinter der Bildproduktion stehenden kolonialen Schiffs-, Post- und Logistikwege. Die von mir analysierten Zeitungsartikel sind Zeugnisse der Rezeptionsgeschichte des Kolonialforschers Rudolf Pöch. Sie zeigen den bewussten Einsatz internationaler Medien zur Verbreitung rassistischer Imaginationen, zur Selbstinszenierung bzw. zur Konstruktion einer bestimmten „wissenschaftlichen“ Autorität. Dabei wurde nicht nur öffentliches Interesse generiert, sondern auch soziales Kapital auf der Basis kolonialer Forschung produziert.
 


Alexander Silaen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des von der Stadt Wien geförderten Projekts „Zur kolonialen Verstrickungsgeschichte von Tonaufnahmen: Die Expedition des Wiener Anthropologen Rudolf Pöch nach Papua-Neuguinea (1904–1906)“, das von Cornelia Gruber und Clemens Gütl geleitet wird.