07.10.2022

SOUNDS & SIGHTS OF SCIENCE #10

Wichtige Mitteilungen aus der Kolonie Belgisch-Kongo (1959) – vorgestellt von Clemens Gütl

WAS IST ZU HÖREN?

Ein interessanter Ausschnitt aus einem Originaltonband, auf das der katholische Ordenspriester, Afrikanist und Professor für vergleichende Religionswissenschaft Anton Vorbichler (1921–1999) am 30. September 1959 in der damaligen Kolonie Belgisch-Kongo wichtige Erläuterungen zu einer Postsendung sprach, die aus „fünf großen Bandrollen“ bestand.

Der Adressat war höchstwahrscheinlich das Phonogrammarchiv in Wien. Hier werden seit Jahrzehnten auf knapp 70 analogen Archivkopien die gut dokumentierten Tonaufnahmen aus seinen Forschungen im Ituri-Regenwald (1958–1960) aufbewahrt. Der besagte Ausschnitt stammt jedoch aus einem der 105 Originaltonträger, die bis zur Übergabe an das Phonogrammarchiv vor einigen Jahren in Vorbichlers Nachlass im Missionshaus St. Gabriel der „Steyler Missionare“ in Maria Enzersdorf waren.
 

AUFNAHME ABSPIELEN

 

WAS IST DARAN BESONDERS INTERESSANT?

Auf der betreffenden Bandseite befanden sich zunächst auch linguistische Daten aus Vorbichlers Forschungen über afrikanische Sprachen und Dialekte im Ituri-Regenwald. Seiner eigenen Aussage zufolge hatte er diese Daten bewusst gelöscht und dann mit seinen eigenen scheinbar belanglosen Gedanken an den Adressaten ersetzt. So wollte er ihn lediglich darauf aufmerksam machen, dass das Tonband nicht völlig leer ist, sondern weitere Tonaufnahmen enthielt, die er im Vergleich zu den gelöschten als relevanter einschätzte.

Meiner Meinung nach sind Vorbichlers Erläuterungen keineswegs nutzlos oder uninteressant. Sie ermöglichen bzw. erleichtern heute zumindest die Rekonstruktion seiner Sammlung und der damaligen Archivierungspraxis im Phonogrammarchiv, der zugrundeliegenden Arbeitsweise bei der Datenerhebung, des Status quo seiner Feldforschung und der beabsichtigten weiteren Planungen. Darüber hinaus liefern seine spontanen Ausführungen auch Anhaltspunkte zu seinem persönlichen Netzwerk vor Ort.

 

WIE BESCHÄFTIGE ICH MICH DAMIT?

Meine Forschungsinteressen liegen im Bereich der Wissenschaftsgeschichte sowie der Kolonial- und Missionsgeschichte Afrikas. Durch die Arbeit mit einer quellenreichen Sammlung wie jener von Anton Vorbichler lassen sich alle drei Bereiche gut verbinden.

Dabei sollen etwa neue Erkenntnisse über die Sammlung selbst, die aufgenommenen Personen und Inhalte, aber auch über die Biografie des Forschers, etc. gewonnen werden. Fragen wie jene nach den Dynamiken und Wirkungen der kolonialen Rahmenbedingungen oder auch der christlichen Mission auf die afrikanischen Gesellschaften, mit denen Vorbichler im Kongo in Kontakt kam, spielen in diesem Fall eine zentrale Rolle.
 


Clemens Gütl ist Afrikawissenschaftler und als Kurator für den Sammlungsschwerpunkt Afrika südlich der Sahara zuständig. Er forscht vorrangig wissenschaftshistorisch zu Beständen des Phonogrammarchivs und zur Geschichte der Afrikawissenschaften in Österreich.

 

Links

„Die Geschichte der Afrikanistik in Österreich“: Kurzbiographie von Anton Vorbichler

Online-Katalog des Phonogrammarchivs: Metadaten zu den Tonaufnahmen der Forschungsreise Vorbichlers in den Kongo (1958–1960)

Anthropos-Institut der „Steyler Missionare“ in Sankt Augustin bei Bonn: Dort befindet sich der Nachlass von Anton Vorbichler heute.