07.04.2023

Sounds and Sights of Science #16

Lagatoi ehona gesungen von Ahuia Ova (1906) – vorgestellt von Cornelia Gruber

Was ist zu hören?

Auf der Aufnahme ist ein Lagatoi Lied zu hören, das Ahuia Ova (1877–1951) am 1. Jänner 1906 in Port Moresby im damaligen „Britisch-Neu-Guinea“ für die Phonogrammaufzeichnung des Arztes und Anthropologen Rudolf Pöch gesungen hat.

Lagatoi-Lieder [ehona]wurden zur Zeit der Aufnahme auf den Handelsexpeditionen namens Hiri von Männern der Motu gesungen, die jedes Jahr zum Golf von Papua zum Tauschhandel von Töpfen gegen Sago [das Mark der Sagopalme] stattfanden (Niles 2000, 69f). Zur Kontextualisierung der Aufnahmen, die 2000 als Series 3: Papua New Guinea (1904-1909) unserer wissenschaftlich kommentierten CD-Edition (Gesamtausgabe der Historischen Bestände 1899–1950) publiziert wurden, nahm der Ethnomusikologe Don Niles mit den Nachfahr:innen der aufgenommenen Personen Kontakt auf und ließ die Texte vor Ort, soweit möglich, übersetzen. Der Text dieses Liedes konnte nicht übersetzt werden, da in Papua-Neuguinea Liedtexte häufig aus anderen Sprachen übernommen wurden, die von den Sänger:innen selbst nicht verstanden werden (ebd., 25, 27).
 

Was ist daran besonders interessant?

Bei Forschungsaufnahmen aus kolonialen Kontexten verbleiben die Musiker:innen, Sänger:innen und Sprecher:innen oft anonym bzw. kann deren Identität anhand der notierten Namen nicht immer rekonstruiert werden. Ahuia Ova ist jedoch einer der von Europäern best-dokumentierten historischen Persönlichkeiten Papua-Neuguineas dieser Zeit, denn er war nicht nur Übersetzer für die koloniale Administration, sondern auch Aufgenommener und Informant für diverse Forscher (C. Seligman und B. Malinowski). Zudem trugen auch seine lokale politische Position als Dorfvorsteher und sein Ruf als „Magier“ dazu bei, dass er als einer der mächtigsten Männer im Dorf Hohodae im Dorfkomplex Hanuabada, Port Moresby, zwischen ca. 1900-1940 galt (Shelley 1978, Niles 2000, 81f). Seine Biographie deutet in vielerlei Hinsicht auf eine ambivalente Position hin, zwischen administrativer Macht und kolonialer Gewalterfahrung.
 

Wie beschäftige ich mich damit?

Im Umgang mit den Beständen des Phonogrammarchivs sind wir immer wieder mit historisch spezifischen Machtverhältnissen und somit auch Machtmissbrauch konfrontiert. Die Aufnahmen aus Papua-Neuguinea sind einzigartig und von unschätzbarem Wert, insbesondere auch für die Nachfahr:innen der Aufgenommenen, denn sie erinnern an historische Persönlichkeiten und an kulturelle Praxen, die teils heute nicht mehr existieren. Zugleich wissen wir inzwischen durch Forschungen der letzten beiden Jahrzehnte zu Pöchs Expedition im südlichen Afrika (1907-09), mit welcher Menschenunwürdigkeit und Gewalt (u.a. unerlaubte Exkavation und Raub von Verstorbenen) und zutiefst rassistischen Methoden und Theorien Forscher wie er vorgingen. Auch im Kontext der Expedition nach Papua-Neuguinea brachte Pöch menschliche Überreste und die Daten von 374 Körpermessungen an Menschen mit nach Wien (Niles 2000, 26).

Wie gehen wir also heute ethisch-verantwortlich mit diesem Wissen und mit solchen Aufnahmen um? Welche Implikationen haben diese historischen Expeditionen auch heute noch in der Produktion audio-visueller Aufnahmen in diversen Forschungskontexten, die niemals frei von Machtverhältnissen sein können? Welche Bedeutung haben diese Aufnahmen für Forscher:innen und Nachfahr:innen in Papua-Neuguinea heute? Diese komplexen Fragen und mehr beschäftigen mich gerade im Prozess der Neukonzeptualisierung der Edition der historischen Bestände gemeinsam mit Christian Liebl.

 


Cornelia Gruber ist Ethnomusikolog:in und seit Oktober 2022 im Phonogrammarchiv für den Bereich Publikationen und Editionen zuständig.


LINKS

Ph 469 im Online-Katalog des Phonogrammarchivs

True Echoes-Projekt der British Library zu den historischen Aufnahmen britischer Forscher u.a. in Papua-Neuguinea, mit Aufnahmen und Fotografien von Ahuia Ova

Bauer, Clara et al (o.J.): “Collector Rudolf Pöch (1879-1921)”, Leichen im Keller: Menschliche Überreste zwischen Rückgabe und Verbleib, Online-Ausstellung

 

LITERATUR

Niles, Don. 2000. Wissenschaftlicher Kommentar, in: Series 3: Papua New Guinea (1904-1909): The collections of Rudolf Pöch, Wilhelm Schmidt, and Josef Winthuis. Wien: VÖAW, 16-118.

Shelley, Reg. 1978. “Ahuia Ova. New Insights into the Life of a Prominent Papuan”. Oceania 48:3, 202-206.