Erstmals in der 125-jährigen gemeinsamen Archäologiegeschichte sind türkische Studierende zu Lehrgrabung nach Österreich eingeladen
(Wien, 17. Juli 2018) – Ein gemeinsames, ausschließlich von Spenden getragenes Projekt vom Verein »Gemeinsam für Europa – Österreichisch Türkische Zusammenarbeit« (ÖTZ) und dem Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) der ÖAW bringt türkische und österreichische Institutionen im Bereich Archäologie näher zusammen. Erstmals in der 125-jährigen gemeinsamen Archäologiegeschichte nehmen türkische Studierende an einer Lehrgrabung in Österreich teil. Den Teilnehmer/innen erhalten im Rahmen dieses Auslandspraktikums die Möglichkeit, mehr über die Methoden der Gräberfeldarchäologie zu erfahren und zudem Österreich näher kennenzulernen.
Das Engagement der europäischen Archäologie in der Türkei blickt auf eine über 150‐jährige Tradition zurück. Sichtbar wird dies insbesondere in den langjährigen Lizenzgrabungen. Diese verstehen sich heute in den meisten Fällen als internationale Forschungsplattformen mit großer Beteiligung türkischer Institutionen, insbesondere von Universitäten.
Lothar Fischmann, Vizepräsident des Vereins »Gemeinsam für Europa – Österreichisch Türkische Zusammenarbeit« (ÖTZ):
Eine Einbindung türkischer Institutionen außerhalb der Türkei fehlte allerdings bislang. Daher starten wir gemeinsam mit dem Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) der ÖAW ein neuartiges Projekt. Erstmals in der 125‐jährigen gemeinsamen Archäologiegeschichte sind türkische Studierende im Rahmen einer Lehrgrabung nach Österreich eingeladen.
In einem dreiwöchigen Aufenthalt im Juli 2018 werden türkische gemeinsam mit österreichischen Studierenden an den Ausgrabungen in der Kirche des Hl. Johannes des Täufers und dem dazugehörigen Friedhof am Fuße des Hemmabergs in Jaunstein mitwirken und dabei die Methoden für das Freilegen von Kirchenarchitektur und menschlichen Überresten besser kennenlernen. Die Grabung in Jaunstein wird vom ÖAI in Kooperation mit dem Landesmuseum für Kärnten und der Universität Wien, Institut für Urgeschichte und historische Archäologie sowie vom Department für Anthropologie (Lehrgrabung) durchgeführt. Geleitet werden die Arbeiten von ÖAI-Spezialisten für Architektur und Baubefund (Helmut Schwaiger) und für Anthropologie (Michaela Binder). Von türkischer Seite ist die Ankara Universitesi unter Leitung von Prof. Musa Kadioğlu in das Projekt eingebunden. Für die finanzielle Unterstützung danken wir Schoellconsult, Wien.
Mit dem Projekt wird türkischen Studierenden die Möglichkeit geboten, archäologische Auslandspraktika zu absolvieren und unmittelbar mit österreichischen Kolleg/innen zusammenzuarbeiten. Bei Ausflügen an den Wochenenden wird es den türkischen Studierenden möglich sein, Österreich besser kennenzulernen und weitere wichtige archäologische Stätten, wie den Magdalensberg oder Teurnia, zu besuchen. Sabine Ladstätter, Direktorin des ÖAI:
Gerade auf dem Gebiet der Gräberfeldarchäologie gibt es in der Türkei Aufholbedarf. Daher ist es auch unser Ziel, die Studierenden an die Methode der Ausgrabung von menschlichen Skelettresten heranzuführen. Letztendlich wollen wir die Beziehungen zwischen österreichischen und türkischen Institutionen verstärken und damit auch zeigen, dass trotz politischer Spannungen die Zusammenarbeit auf wissenschaftlicher und menschlicher Ebene hervorragend funktioniert.
Astrid Pircher
Kommunikation
T (+43 1) 4277-27144
E astrid.pircher(at)oeai.at
Michaela Binder
Bioarchäologie,
Projektleitung Jaunstein
T (+43 0) 650 9811984
E michaela.binder(at)oeai.at
Lothar Fischmann
Vizepräsident ÖTZ
T (+43 0) 676 3369 350
E lothar.fischmann(at)oetz.org
Im Zentrum der Grabung stehen die Kirche des Hl. Johannes des Täufers und der dazugehörige Friedhof am Fuße des Hemmabergs in Jaunstein/Kärnten.
Erste Sondierungsgrabungen im Friedhof im Jahr 2008/9 haben ergeben, dass die Bestattungsaktivität bereits im späten 8. Jh. einsetzt. Obwohl die heute sichtbare Kirche aus dem 17. Jh. stammt, ist aufgrund der Gräber aus dem 8. Jh. anzunehmen, dass auch die Gründung der Kirche bereits im Frühmittelalter erfolgt ist. Um dies zu klären, werden parallel zu weiteren Arbeiten am Friedhof auch im Inneren der Kirche erstmals Grabungen durchgeführt.
Die Kirchengründung würde somit in die Zeit der Christianisierung der Bevölkerung des slawischen Fürstentums Karantanien fallen und könnte die bislang älteste bekannte frühmittelalterliche Kirche Unterkärntens sein. Aus dem Frühmittelalter ist die Existenz zahlreicher Kirchen im slawischen Gebiet aus schriftlichen Quellen bekannt, es gibt jedoch kaum direkte archäologische Nachweise.
Die große kulturhistorische Dimension dieser Erkenntnis erschließt sich allerdings erst durch eine synoptische Betrachtung der Siedlungskammer von Hemmaberg/Globasnitz. Weitläufige Gräberfelder am Berg sowie in der Talsiedlung belegen für die Spätantike eine komplexe Siedlungsstruktur mit romanischen und germanischen Elementen. Mit dem Friedhof von Jaunstein kann möglicherweise eine direkte Verbindung in das Frühmittelalter erschlossen und wichtige Erkenntnisse zur slawischen Landnahme ab dem 6. Jh. gewonnen werden.