25.07.2024

Europäische Steinzeit-Technologie in Israel entdeckt

Archäologinnen des ÖAI und der Hebräischen Universität Jerusalem sind auf überraschende Übereinstimmungen in einer speziellen Herstellungsweise von Steinprojektilen in Europa und Israel gestoßen. Das deutet auf einen Technologietransfer hin – und möglicherweise sogar auf Migrationsbewegungen aus Europa in das östliche Mittelmeer.

Darstellung eines Speerwerfers (© ÖAW-ÖAI/Hannah Rohringer, née Parow-Souchon)

Eine Frage des Überlebens

Für das Schicksal steinzeitlicher Gemeinschaften war die Verfügbarkeit von verlässlichen Jagdwaffen eine Frage des Überlebens. Mangels Kenntnisse in der Metallverarbeitung mussten die Menschen zwar auf Steinwaffen setzen – doch auch Steinwaffe war nicht gleich Steinwaffe. Vor mehr als 40.000 Jahren vor unserer Zeit setzte sich in Europa eine neue Technologie für die Fertigung von speziellen, winzigen Waffenspitzen durch, der sogenannten „Dufour-Lamellen“.

Diese winzigen steinernen Projektile wurden auf besondere Weise erzeugt: Aufgesammelte oder aus Felswänden gelöste Feuerstein-Knollen wurden zunächst von allfälligen unerwünschten Rinden oder Einschlüssen befreit, um sie anschließend in eine bestimmte Form zurecht zu schlagen. Die für die Herstellung von Dufour-Lamellen nötige Form, auch Kielgerät genannt, musste genau in den richtigen Winkel, spitz zulaufend, gebracht werden, bevor man daraus die gewünschten Projektile herausschlagen konnte. Die auf diese Weise gewonnenen und immer wieder reproduzierbaren „Dufour-Lamellen“ waren neuartige Waffenspitzen, die sowohl wesentlich kleiner und leichter waren als ihre Vorgänger als auch in mehrfacher Anzahl auf einzelne hölzerne Speerschafte aufgebracht werden konnten.

Game changer

In der nun in der Fachzeitschrift PLOS ONE erschienenen Studie stellt Hannah Rohringer (vormals Hannah Parow-Souchon), Forscherin am Österreichischen Archäologischen Institut der ÖAW gemeinsam mit ihrer Kollegin Anna Belfer-Cohen von der Hebräischen Universität Jerusalem die Hypothese auf, dass die Verbreitung dieser Projektile eng mit dem Siegeszug einer neuen Waffe, der Speerschleuder, verbunden sei: Dabei konnte ein einfacher Hebel dem Speer zusätzlichen Schub verleihen und erhöhte die Reichweite der Steinzeit-Jäger auf bis zu 250 Meter. Voraussetzung für treffsichere Jagden waren allerdings leichte und zugleich schneidende Speerspitzen, die die Flugbahn des Speers kaum beeinträchtigen durften – genau jene Eigenschaften, die die „Dufour-Lamellen“ mitbrachten.
 
Die ausgefeilte Fertigungstechnik der Kielgeräte aus Feuerstein war für die steinzeitlichen Gemeinschaften nichts weniger als ein Game Changer, da sie in der Jagd eine kleine Revolution einläutete, indem sie das Erjagen von Beutetieren aus größerer Distanz ermöglichte und damit sicherer machte. Diese Herstellungsmethode war derart erfolgreich, dass sie als charakteristisch für eine ganze Kultur angesehen wird, das sogenannte Aurignacien.

Technologietransfer über das Mittelmeer

Aufgrund ihrer Vorzüge breitete sich das Wissen über die spezielle Bearbeitung von Feuerstein sowie über die Herstellung von „Dufour-Lamellen“ unaufhaltsam aus. Auch im Nahen Osten wurden vergleichbare Steingeräte gefunden. Ob sie jedoch auf die gleiche Weise hergestellt worden sind, blieb lange umstritten. Dies konnten nun Rohringer und Belfer-Cohen in ihrer Studie erstmals beweisen.
 
Die Forscherinnen analysierten dazu Material aus der Hayonim Cave in Israel. Dort entdeckten sie Spuren derselben Produktionsabfälle, die sich in Europa finden, wenn Kielgeräte für die Herstellung winziger, spitzer „Dufour-Lamellen“ verwendet wurden. Aus den Analysen geht hervor, dass diese Kielgeräte rund 34.000 bis 38.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung auf dieselbe Weise abgebaut und bearbeitet wurden wie in Europa, um die gleichen Zielprodukte zu erhalten. Einige Jahrtausende nach der Verbreitung des neuen Wissens in Europa hatte dieses demnach also auch den östlichen Mittelmeerraum erreicht.  „Die Herstellungstechnik von Kielgeräten ist in Europa und der Levante identisch, wir haben alle Nachweise dafür erbringen können“ sagt Rohringer. „Damit kann auch ein enger kultureller Zusammenhang zwischen dem europäischen und levantinischen Aurignacien unterstrichen werden“, so die Forscherin weiter.
 
Das wiederum wirft eine Reihe von neuen Fragen auf, wie Rohringer schildert – nicht zuletzt die Überlegung, wie dieses Wissen überhaupt Tausende Kilometer überwinden konnte. „Die Frage ist“, so die Archäologin, „ob es sich hierbei um eine Migration von Menschen oder von Ideen handelt, möglicherweise sogar um eine Rückmigration von Menschen aus Europa in den östlichen Mittelmeerraum.“ Weitere Forschungen an Fundorten entlang des Donaukorridors sollen nun dabei helfen, eine breitere Datenbasis zu erhalten. Dazu gehört auch zu untersuchendes Feuerstein-Material aus Österreich, wo eine Reihe berühmter Fundstellen aus dem Aurignacien wichtige Informationen liefern sollen.

 

Die Forschungen wurden finanziert durch ein Glassman Holland Research Fellowship des W.F. Albright Institute of Archaeology in Jerusalem.

Publikation:
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The use of carinated items in the Levantine Aurignacian—Insights from layer D, Hayonim Cave, W. Galilee, Israel,« Hannah Parow-Souchon, Anna Belfer-Cohen, PLOS ONE, 2024, https://doi.org/10.1371/journal.pone.0301102

 

Rückfragehinweis

Astrid Pircher
Wissenschaftskommunikation
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