27.08.2024

Armut im Alten Ägypten

Kostbare Goldschätze und beeindruckende Grabkammern prägen das populäre Bild des Alten Ägypten. Allerdings waren laut Ägyptologin Margaret Maitland »der Glanz und das Gold von Ausbeutung und extremer Ungleichheit begleitet«. Bei einer Konferenz am ÖAI zur Armut in Ägypten hält sie eine Keynote Lecture zum Thema Armut im pharaonischen Ägypten.

(© Shutterstock)

Was bedeutete Armut in der Antike? Mit dieser Frage beschäftigt sich eine internationale Konferenz vom 4.-6. September in Wien, die von Delphine Driaux, FWF-Elise-Richter-Stipendiatin an der Universität Wien, und Bettina Bader vom Österreichischen Archäologischen Institut mitorganisiert wird. Die Konferenz ist Teil eines größeren Forschungsprojekts zum Thema »Repräsentationen und Realität von Armut im Alten Ägypten« unter der Leitung von Delphine Driaux. Sie befasst sich mit den Armen, die einen großen Teil der ägyptischen Gesellschaft ausmachten und dennoch im Schatten der Elite und deren prestigeträchtigen und schönen Objekten und Monumenten standen. Ziel dieser Konferenz ist es, diese Gruppe von Menschen näher zu beleuchten, die von der Forschung lange Zeit ignoriert wurden. Neben den Problemen, die mit der Definition von Armut in der Antike und den Methoden zur Untersuchung dieses Phänomens verbunden sind, werden die Lebensumstände und die Herkunft der Armen behandelt und das Bild hinterfragt, das ihre Zeitgenossen von ihnen hatten. Die Keynote Lecture hält Margaret Maitland, Hauptkuratorin für den antiken Mittelmeerraum an den Nationalen Museen Schottlands. Sie wird einen Einblick in die Armut im alten Ägypten aus der Sicht der ägyptischen sozialen Elite geben. Einen kurzen Überblick über ihre Forschung gibt sie im folgenden Interview.

Was bedeutete Armut im Alten Ägypten?

Margaret Maitland: Das ist natürlich ein riesiges Thema, das schwer zu definieren ist, weil Armut immer relativ ist. Es gibt deshalb viele verschiedene Definitionen von Armut. Ich möchte mir in meinem Vortrag ansehen, wie das Leben der Menschen über wirtschaftliche Faktoren hinaus verarmt sein konnte. Ich versuche die Auswirkungen von Stigmatisierung und die Einstellungen der Eliten gegenüber den Arbeitern zu verstehen – genauso wie die Einschränkungen und Möglichkeiten, die einem großen Teil der altägyptischen Gesellschaft zur Verfügung standen, und zur Entstehung einer höchst ungleichen Gesellschaft beitrugen.

Herrscher als Quelle göttlicher Macht

Wie war die altägyptische Gesellschaft aufgebaut? Welche Rolle spielte Klasse?

Maitland: Es gab den König, den Herrscher Ägyptens, der die ultimative Quelle von Macht und Kontrolle war und als Quelle göttlicher Macht dargestellt wurde. Er handelte durch seine Beamten, bis hin zu den Schriftgelehrten, die für das Schreiben und Dokumentieren zuständig waren, was ein wichtiges Mittel der Kontrolle war. Es handelt sich um eine landwirtschaftlich geprägte Gesellschaft. Viele Berufe hatten also mit der Landwirtschaft und anderen Formen der Nahrungsmittelproduktion und dem Handwerk zu tun. Die Elite selbst fungiert als Beobachter und Autorität und grenzte sich von diesen Positionen der körperlichen Arbeit ab. Scham und Stigmatisierung dienten dazu, soziale Unterschiede negativ darzustellen, zum Beispiel durch öffentliche Darstellungen von körperlicher Bestrafung. Die ägyptische Elite betrachtete diese als völlig gerechtfertigt und wichtig für die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung.

Der Glanz und das Gold waren von Ausbeutung und extremer Ungleichheit begleitet.

Was wissen wir über die Lebensumstände der armen Bevölkerung?

Maitland: Hier kann die Archäologie einige Lücken füllen, sowohl was die Behausungen als auch die Gräber von Menschen angeht, die nicht der Elite angehörten. Die Ausgrabungsstätte von Amarna liefert zum Beispiel zahlreiche Hinweise darauf, wie harte Arbeit und mangelhafte Ernährung sich auf die Körper der Menschen auswirkten. Auch anhand von wirtschaftlichen Texten können wir Löhne und Lebenserhaltungskosten erschließen.

Stigmatisierung und Scham

Wie können wir die Ungleichheit im alten Ägypten verstehen und sicherstellen, dass wir nicht unser modernes Verständnis von Gleichheit oder Ungleichheit auf vergangene Gesellschaften projizieren?

Maitland: Manche sagen, dass selbst die Idee von Ungleichheit im Alten Ägypten ahistorisch ist. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass die einzigen Sichtweisen, die dargestellt werden, die der Eliten sind. Wir haben keinen direkten Zugang zu den Gedanken und Gefühlen der Mehrheit der altägyptischen Gesellschaft, aber es ist dennoch sehr klar, dass viele Menschen Stigmatisierung und Beschämung ausgesetzt waren.

Sich gegen Ungerechtigkeit zu wehren wurde als potenziell problematisch und bedrohlich für die soziale Ordnung dargestellt.

Haben Sie ein Beispiel?

Maitland: Es gibt ein Gedicht mit dem Titel „The Tale of the Eloquent Peasant“, das einige dieser Ideen unterläuft, indem es einen Bauern zeigt, der tatsächlich weiser ist als sein Stand. Aber auch hier wird seine Bereitschaft, sich gegen Ungerechtigkeit zu wehren, als potenziell problematisch und bedrohlich für die soziale Ordnung dargestellt. Dabei ist zu bedenken, dass literarische Texte wahrscheinlich mündlich vorgetragen wurden, aber auch von den wenigen Menschen gelesen wurden, die lesen konnten. Sie richteten sich in erster Linie an ein elitäres Publikum, geben uns aber einen Einblick in die Art und Weise, wie sie Ungleichheit rechtfertigten und legitimierten.

 

Konferenz »Who was poor in pharaonic Egypt and in its Near Eastern neighbourhood. Social Stratification and Visibility according to texts, pictures and archaeology«
4.–6. September 2024 | Otto-Wagner Postsparkasse
Mit finanzieller Unterstützung des FWF-Wissenschaftsfonds und der Kulturabteilung der Stadt Wien
 

Margaret Maitland ist leitende Kuratorin für den antiken Mittelmeerraum der National Museums Scotland. Sie studierte Altorientalistik an der Universität von Toronto und Ägyptologie an der Universität Oxford. Sie hält eine Keynote Lecture mit dem Titel »Poverty, Stigma und Inequality: Evidence from Middle Kingdom Egyptian Visual and Textual Culture«.

Delphine Driaux ist Ägyptologin und Archäologin und arbeitet an mehreren internationalen Ausgrabungen in Ägypten und im Sudan mit. Sie promovierte in Ägyptologie an der Universität Sorbonne und erhielt ein Fernand Braudel-IFER Post-Doc-Stipendium am McDonald Institute for Archaeological Research (Universität Cambridge), wo sie sich mit der sozialen Differenzierung in altägyptischen Siedlungen beschäftigte. Driaux leitet derzeit das vom FWF geförderte Forschungsprojekt (V 883-G) »Representations and Reality of Poverty in Ancient Egypt. The Poor, their Identities and their Practices« am Institut für Ägyptologie der Universität Wien.  Sie ist Hauptorganisatorin der Konferenz und wird einen Vortrag zum Thema »Writing the History of the Poor: An Introduction to a Complex Field of Study« halten.

Mitveranstalterin Bettina Bader, Ägyptologin und Archäologin am Österreichischen Archäologischen Institut, Leiterin der Forschungsgruppe »Archäologie in Ägypten und Sudan«, ist spezialisiert auf materielle Kultur und erforscht u.a. die archäologischen Überreste altägyptischer Siedlungen. Dabei stellt auch die soziale Schichtung eine wichtige Forschungsfrage dar. Es handelt sich dabei um ein oft vernachlässigtes Thema, nicht zuletzt, weil die Funde in Siedlungen meist weniger spektakulär und schwieriger zu interpretieren sind als Grabinhalte. B. Bader wird einen Vortrag zum Thema »Assessing Social Stratification in Egyptian Settlements: An Attempt to Visualize Non-élite people in Archaeology« halten.