02.10.2024 | Digitale Revolution

Macht Digitalisierung die Demokratie kaputt?

Eine neue Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften beschäftigt sich mit Auswirkungen digitaler Praktiken auf Demokratien - wie etwa das gezielte Manipulieren von Wähler:innen oder das Verbreiten von Fehlinformationen in sozialen Medien. Auch angesichts der US-Wahlen ein brandaktuelles Thema.

Soziale Medien und Internet haben die Zahl der Fake News massiv ansteigen lassen. Was bedeutet das für Bürger:innen, die in einer Demokratie gut informierte Entscheidungen treffen sollen? Das will eine neue Kommssion der ÖAW untersuchen. © Adobe Stock

„Digitale Technologien haben große Vorteile für viele Menschen, sie werden aber auch dazu eingesetzt, um zu manipulieren, Des- und Fehlinformationen zu streuen und manchmal sogar Gewalt zu propagieren“, sagt Barbara Prainsack. Die Politikwissenschaftlerin spricht damit eine zentrale Herausforderung von Demokratien im digitalen Zeitalter an. Denn neben vielen positiven Entwicklungen, zu denen die Digitalisierung beigetragen hat, gibt es in letzter Zeit auch viele Negativ-Trends.

Diesen wollen Mitglieder der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) nun durch Forschungen in der neu gegründeten Kommission Demokratie in digitalen Gesellschaften (DEMGES) begegnen, die am 10. Oktober 2024 ihre Arbeit aufnimmt.

Die beiden DEMGES-Gründerinnen Barbara Prainsack von der Universität Wien und Astrid Mager vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung der ÖAW erzählen im Interview, welche Vorhaben die Kommission in Angriff nimmt, um wissenschaftsbasiert Bewusstsein für die Verletzlichkeit der Demokratie durch digitale Medien zu schaffen.

ZWISCHEN AUTOKRATIEN UND TECHNOLOGIEKONZERNEN

Demokratien auf der ganzen Welt stehen durch den Einsatz digitaler Praktiken vor tiefgreifenden Herausforderungen. Wie sehen diese aus?

Barbara Prainsack: Digitale Technologien haben große Vorteile für viele Menschen und geben vielen eine Stimme, die sonst nicht gehört würden. Zugleich werden sie aber auch dazu eingesetzt, um Wähler:innen zu beeinflussen, Menschen zu manipulieren, Des- und Fehlinformationen zu streuen und manchmal sogar Gewalt zu propagieren. Wenn solche Aktivitäten von autokratischen Regierungen gesteuert werden, spricht man vom Phänomen der „foreign interference“, also der Einflussnahme ausländischer Akteur:innen mit problematischen Intentionen. Das hat leider ein sehr großes Ausmaß erreicht, das weiten Teilen der Öffentlichkeit in seinem vollen Umfang noch nicht wirklich bekannt ist.

Wie wir sehen können, spielt die Polarisierung auf sozialen Medien vor allem rechten Parteien in die Hände.

Astrid Mager: Es gibt noch viele weitere Beispiele, wie man sich digitaler Plattformen bedient, um Demokratien auszuhöhlen. Wie wir sehen können, spielt die Polarisierung auf sozialen Medien vor allem auch rechten Parteien in die Hände. Wichtig ist zu erkennen, dass die Geschäftsmodelle großer Technologiekonzerne primär darauf ausgerichtet sind, Leute in den Plattformen zu halten und möglichst viele Daten zu generieren. Daher bewerten Algorithmen User Engagement, z.B. Likes und Kommentare, als positiv und reihen diese nach oben, was sich gut mit kontroversen und polarisierenden Inhalten verknüpft – oftmals jener von rechtsextremen Gruppierungen. Auch Verschwörungstheorien und ähnliche Inhalte können sich so Sichtbarkeit verschaffen – wie wir es etwa im Zuge von Corona schon gesehen haben.

„foreign interference“ ALS wECKRUF

Wie kann die neue ÖAW-Kommission helfen, diesen Tatsachen entgegenzuwirken?

Prainsack: Bisher wurde das Ausmaß dieser Entwicklungen – insbesondere jener der gezielten Einflussnahme von autokratischen Regierungen durch digitale Hilfsmittel – von Politikgestalter:innen noch nicht ausreichend wahrgenommen und behandelt. Hier ist also nicht nur Aufklärungsarbeit, sondern natürlich auch Forschungsarbeit nötig. Unsere Kommission wird sich mit einer großen Bandbreite an digitalen Praktiken beschäftigen, die Demokratien bedrohen, aber auch stärken können. Aktuell ist das Problem der „foreign interference“ bestimmt ein weiterer Weckruf für uns, die Expertise, die es in Österreich so zahlreich gibt, zu bündeln, um gemeinsam zu einem besseren Verständnis digitaler Transformationen in Demokratien beizutragen und hilfreiche Hinweise für die Politikgestaltung zu geben.

Wir wollen eine Typologie von digitalen Praktiken erstellen, die Demokratien schaden oder nutzen.

Und welches Ziel verfolgt die Kommission?

Mager: Ziel dieser Kommission ist es, uns sowohl empirisch als auch theoretisch anzusehen, welche Praktiken in digitalen Gesellschaften Demokratien stärken und welche schwächen. Ein aktuelles Beispiel ist etwa der US-Wahlkampf, im Zuge dessen in sozialen Medien sogar zur Gewalt aufgerufen wird. Hier muss man sich auch anschauen, wie sich die Rechtsprechung und die Rechtsdurchsetzung dazu verhält. Bei DEMGES geht es also um konkrete Praktiken in konkreten Kontexten und nicht um das Formulieren von abstrakten Prinzipien.

Gibt es erste Arbeitsvorhaben?

Prainsack: Wir wollen eine Typologie von digitalen Praktiken erstellen, die Demokratien schaden oder nutzen. Dazu werden wir gemeinsam konkrete Fälle bestimmen, die wir tiefgreifender analysieren wollen. In einem weiteren Schritt geht es darum, was wir von diesen lernen und wie sich das zu bestehender Literatur verhält.

Am 10. Oktober findet das Gründungstreffen statt. Wie viele Mitglieder hat die Kommission?

Mager: Bisher sind wir 15 Mitglieder, die Hauptmitglieder speisen sich Großteils aus Mitgliedern der ÖAW und kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen – DEMGES ist also sehr interdisziplinär. Weiters sind aber auch Workshops mit Expert:innen aus der ganzen Welt geplant und natürlich eine Vernetzungen über die Mitglieder und die ÖAW hinaus. Auch das Einbinden von zivilgesellschaftlicher Expertise (z.B. digital rights NGOs) und von Praktiker:innen in „Democracy Labs“ ist geplant.

 

Auf einen Blick

Barbara Prainsack ist Professorin für Vergleichende Politikfeldanalyse am Institut für Politikwissenschaften der Universität Wien und korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Astrid Mager ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Technikfolgen-Abschätzung der ÖAW und Mitglied der Jungen Akademie.
 

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