Wer schon einmal versucht hat, eine Stubenfliege mit bloßen Händen zu fangen weiß, dass manche Bewegungen zu schnell sind, um mit unseren Augen exakt zu erfassen. Filmt man die Fliege aber mit einer Handykamera, die 200 Bilder pro Sekunde aufnehmen kann, kann man in Zeitlupe jede Bewegung plötzlich ganz klar erkennen. Wird das Video zum Beispiel mit 25 Bildern pro Sekunde wiedergegeben, wird jede Sekunde der ursprünglichen Bewegung der Fliege auf acht Sekunden Video gestreckt. Die diesjährigen Physiknobelperisträger:innen, die beiden Mitglieder der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) Ferenc Krausz und Anne L’Huillier sowie der französisch-amerikanische Physiker Pierre Agostoni, haben dieses Prinzip in ihren Experimenten auf die Spitze getrieben: Sie können mit Laserpulsen, die nur wenige Attosekunde dauern, die Bewegung einzelner Elektronen auflösen.
Milliardstel einer Milliardstelsekunde
Eine Attosekunde entspricht einem Milliardstel einer Milliardstelsekunde. Wenn wir unsere Fliege mit einer Attosekundenkamera eine Sekunde lang filmen würden, und uns die Aufnahme mit 25 Bildern pro Sekunde ansähen, würde das fast 1,3 Milliarden Jahre dauern. Solche unfassbar kurzen Laserpulse, erlauben es, extrem schnelle Vorgänge im Detail zu erfassen und Augenblicke damit praktisch auf eine Ewigkeit auszudehnen. Selbst wenn wir unser Attosekundenvideo von der Fliege ein ganzes Menschenleben lang betrachten, wäre darauf keine Bewegung zu erkennen - außer wir könnten auf die Ebene einzelner Elektronen hineinzoomen. Ein Elektron ist so schnell, dass es nur wenige hundert Attosekunden braucht, um von einem Atom zum anderen zu springen.
Tanz der Elektronen
Mit Attosekundenlaserpulsen ist erstmals eine zeitliche Auflösung der Dynamik von Elektronen innerhalb von Atomen und Molekülen möglich. Möglich gemacht haben das die bahnbrechenden Arbeiten der Nobelpreisträgerinnen 2023. Die französische Physikerin Anna L’Huillier von der Lund University in Schweden hat 1987 den Grundstein gelegt, indem sie einen Ansatz gefunden hat, der Laserpulse, die kürzer als eine Femtosekunde (eine Billiardstelsekunde) sind, überhaupt erst plausibel erscheinen ließ: Durch den Beschuss eines Edelgases mit einem Infrarotlaser gelang es ihr im Labor, ultrakurze Laserpulse zu erzeugen. Trotzdem hat es bis zum Jahr 2001 gedauert, bis tatsächlich die ersten Attosekunden-Laserpulse im Labor erzeugt werden konnten. Dem österreichisch-ungarischen Physiker Ferenc Krausz, der heute am Max Planck Institut für Quantenoptik forscht, gelangen an der Technischen Universität Wien die ersten Attosekunden-Experimente. Entscheidend zur Weiterentwicklung der Technologie und entsprechend sensibler Messtechnik trug L’Huilliers Landsmann Pierre Agostini von der Ohio State University bei.
Das Rennen geht weiter
Das Rennen um den kürzesten Puls ist bei weitem noch nicht zu Ende. Der derzeitige Rekord liegt bei 80 Attosekunden und wird von der Forschungsgruppe von Ferenc Krausz gehalten. Das Anwendungspotenzial der ultrakurzen Laserpulse ist enorm hoch: Von ultraschnellen, lasergesteuerten elektronischen Schaltungen über exakte Analysen chemischer Vorgänge bis zu neuen Diagnoseverfahren in der Medizin reichen die Ideen.