Was hält eine vielfältige Gesellschaft zusammen? Welche Konzepte und Strategien gibt es im Umgang mit weltweiten Krisen, einer zunehmenden Polarisierung und postfaktischer Politik?
Diesen Fragen widmet sich die 8. Jahrestagung Migrationsforschung von 18. bis 20. September 2024 in Innsbruck, zu der die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und die Universität Innsbruck einladen. Im Zentrum der Diskussion stehen postmigrantische Perspektiven – ein Konzept, das über das traditionelle Verständnis von Migration und Integration hinausgeht.
„Eine postmigrantische Gesellschaft erkennt Migration als Tatsache an, die ein neues Selbstverständnis als Migrationsgesellschaft erfordert“, so Konferenzorganisatorin Wiebke Sievers von der ÖAW. „Postmigrantische Perspektiven können dafür als Grundlage dienen“, ergänzt ihr Kollege Marc Hill von der Universität Innsbruck, „denn sie eröffnen neue Sichtweisen auf öffentliche Diskurse über Migration und stellen Althergebrachtes auf den Kopf.“
Verwundbarkeit der postmigrantischen Gesellschaft
Welche ethischen Spannungen in postmigrantischen Gesellschaften entstehen können, das beleuchtet Vassilis S. Tsianos von der Fachhochschule Kiel in seiner Keynote anhand der Auswirkungen des israelisch-palästinensischen Konflikts auf deutschsprachige Gesellschaften. Er thematisiert die Verwundbarkeit der postmigrantischen Gesellschaft und analysiert, wie Erinnerungspolitik und eine Kultur des Misstrauens Inklusion und interkulturellen Dialog gefährden. Tsianos warnt vor einer Hierarchisierung von Opfern und der damit einhergehenden Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Warum viele Asylwerber:innen in Österreich nach Wien gehen
Ist es die größere migrantische Gemeinschaft, die schnelleren sozialen Anschluss bietet oder die bessere Infrastruktur, spezialisierte Unterstützungsangebote und mehr Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten, weshalb es mehr Asylwerber:innen in Österreich in die Hauptstadt zieht? Mit Ankommensstrukturen, also mit all den verschiedenen Institutionen und Menschen, die Asylwerber:innen im täglichen Leben unterstützen, befassen sich zwei der zahlreichen Panels der Konferenz.
Von postkolonialer Theorie bis Arbeitsmarktintegration
Darüber hinaus reichen die Themen der Tagung von einer Reflexion der vieldiskutierten postkolonialen Theorie über die Integration von Migrant:innen in den Arbeitsmarkt bis zu antisemitismus- und rassismuskritischer politischer Bildung. Auch Digitalisierung und Fluchtmigration oder Solidarität mit Geflüchteten kommen in den insgesamt 25 Panels und knapp hundert Vorträgen zur Sprache. Thematisiert werden zudem Kunst und Kultur als Orte der Auseinandersetzung und kritischen Reflexion von Migration. Auch die Tagung wird mit einem Kulturprogramm begleitet: Zu sehen ist die Ausstellung „Flucht ist nicht flüchtig“ des Vereins ZeMiT.