29.01.2015

„Im Alter nicht fertig werden“

Der bedeutende Soziologe und Alternsforscher Leopold Rosenmayr wird 90. Die ÖAW ehrte ihr Mitglied mit einem feierlichen Abend.

Ist Kreativität etwas, das nur jungen Menschen zu eigen ist? Oder gibt es nicht eine besondere Kreativität im hohen Alter? Bei Leopold Rosenmayr fällt die Antwort auf diese Frage leicht: Der bedeutende Soziologe, Familienforscher und Alternsforscher feierte an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) seinen 90. Geburtstag. Sein Schaffensdrang hat unter dem Alter jedoch keineswegs gelitten – vielmehr gilt das Gegenteil.

„Ich habe immer geglaubt, dass im hohen Alter die Erinnerung etwas ganz Entscheidendes ist“, gibt Rosenmayr bei der feierlichen Veranstaltung an der ÖAW zu verstehen, „doch inzwischen halte ich die Öffnung des Herzens für entscheidend.“ „Denn es ist wichtig“, erläutert Rosenmayr weiter, „dass der alte Mensch sich nicht nur selber versteht, sondern beginnt, auch andere Menschen zu verstehen.“ Ein Verständnis, das speziell im hohen Alter entwickelt und weitergegeben werden könne.

Internationales Format

Dem Gewinn und dem Teilen von Verständnis verschrieb sich der 1925 in Wien geborene Rosenmayr dabei bereits früh. Nach dem Zweiten Weltkrieg startete er eine rasante wissenschaftliche Karriere, die ihn unter anderem nach Paris, Harvard, New York und wieder zurück nach Wien führte. Hier trug er maßgeblich zur Wiederbelebung der empirischen Sozialforschung bei und erlangte mit Arbeiten in unterschiedlichen Bereichen der Soziologie ein hohes Maß an wissenschaftlicher Anerkennung.

Speziell in der Alternsforschung avancierte Rosenmayr zu einem der international führenden Denker. Eine seiner bedeutenden Leistungen für die Alternsforschung ist, wie Festredner und Alternsforscher Andreas Kruse von der Universität Heidelberg zusammenfasst, die enorme kreative Leistungsfähigkeit im hohen Alter anzuerkennen und in den wissenschaftlichen Fokus zu rücken – und zwar im vollen Bewusstsein der im Alter zunehmenden körperlichen Verletzlichkeit.

Geistige Kreativität

Kruse zufolge gab Rosenmayr eine Prämisse vor, die weit über die wissenschaftlichen Grenzen hinaus Beachtung finden sollte: „Schützt den alten Organismus in seiner Verletzlichkeit und bringt alte Menschen in soziale Netzwerke. Denn erst dann können sie eine unglaubliche geistige Kreativität entwickeln.“

Als schlichte Lebensweisheit ließe sich Rosenmayrs Philosophie auch so formulieren: „Man muss im hohen Lebensalter versuchen, nicht fertig zu werden.“ Und fertig mit dem Gewinn und der Weitergabe von Erkenntnissen ist der bis in die Gegenwart publizierende Forscher Rosenmayr, so viel lässt sich sagen, jedenfalls noch lange nicht.

Leopold Rosenmayr: Europa aus der Sicht eines Zeitzeugen (in: ÖAW: Forschung und Gesellschaft 8)