Nach Angaben der Veranstalter ist die Konferenz eine wissenschaftliche Premiere. „Wir wollen dem konstruierten Feindbild ‚Türke‘ auf den Grund gehen, denn die Angst vor einer so genannten ‚Bedrohung‘ aus dem Osten erscheint in Österreich sehr tief im kollektiven Bewusstsein verankert. Dieser propagandistisch gerade in Wahlkampfzeiten besonders ausgeschlachteten Thematik setzen wir wissenschaftliche Fakten entgegen“, erklären Dr. Johann Heiss vom Institut für Sozialanthropologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) sowie Mag. Dr. Johannes Feichtinger vom Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der ÖAW uni sono.
Feindbild Türke wird immer wieder benützt
Der Tagungsort ist bewusst gewählt, da mit der Thematik verknüpft. Die südsteirische Stadtgemeinde Bad Radkersburg hat eine bewegte Vergangenheit. Aufgrund ihrer geografischen Nähe zum benachbarten Ungarn war die Grenzstadt über Jahrhunderte hinweg Schauplatz kriegerischer Konflikte, so auch im Verlauf der osmanischen Eroberungszüge. Die Konferenz „Die Türken erinnern. Ausbildung und Überlieferung des Türkengedächtnisses im internationalen Vergleich“ will aufzeigen, warum das Feindbild „Türke“ in all seinen historischen Ausformungen immer wieder dazu benützt wird, nationale und regionale Identitäten in Abgrenzung zum „feindlich Fremden“ zu konstruieren und zugleich bestehende Macht- und Herrschaftsverhältnisse abzusichern. Slogans im laufenden politischen Wahlkampf rund um die österreichische Bundeshauptstadt Wien sowie das von der österreichischen Justiz verbotene und von den Vereinten Nationen ebenso verurteilte Moschee-„Spiel“ sind dafür markante Beispiele, erklären die Veranstalter.
„Monumentales“ Projekt an der ÖAW
Tagungsthema sind sowohl Denkmäler, die auf die türkische Präsenz in Zentraleuropa Bezug nehmen, als auch performative Handlungen wie Prozessionen, Umzüge oder Feierlichkeiten sowie deren mediale Inszenierungen. „Beides läuft letztlich auf die Konstruktion nationaler Identitäten hinaus, wobei die Abgrenzung von den Türken gerade in Zentral-, Ost- und Südosteuropa zu einem unverzichtbaren Element geworden ist“, erläutert Heiss. An der Konferenz nehmen SozialanthropologInnen, KulturwissenschaftlerInnen, (Kunst- und Kultur)HistorikerInnen, PolitikwissenschafterInnen und SoziologInnen aus Österreich, Deutschland, Ungarn, Slowenien, Polen und Indien teil. Basis der Tagung ist das seit 2009 laufende interdisziplinäre Forschungsprojekt Shifting Memories – Manifest Monuments. Memories of the “Turks” and Other “Enemies”. Dieses dreijährige, vom österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) finanzierte Projekt ist an der ÖAW in Wien angesiedelt und wird in einer Kooperation des Instituts für Sozialanthropologie mit dem Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte von Johann Heiss und Johannes Feichtinger geleitet.
Im Zentrum des Forschungsvorhabens stehen so genannte „Türkendenkmäler“. Ziel des Projekts ist es, sowohl die politischen und gesellschaftlichen Machtkämpfe bei der Entstehung dieser Monumente freizulegen als auch deren Bedeutungswandel im Laufe der Zeit zu analysieren. Die damit einhergehende Konstruktion von Feind- und Selbstbildern lässt sich anhand der Türkendenkmale besonders gut ablesen: „So wurde das ‚Feindbild Türke‘ – den politischen Machtverhältnissen der jeweiligen Epoche entsprechend – symbolisch dazu verwendet, gegen unterschiedlichste Gegner mobil zu machen: Beim 100-jährigen Jubiläum des Entsatzes von Wien 1783 waren es beispielsweise die Aufklärer, gegen die gehetzt wurde. 1883 waren es Liberale und Konservative, die sich gegenseitig durch den Vergleich mit den Türken herabsetzten. Im Austrofaschismus wurden zum 250. Jahrestag Bolschewiken und Nationalsozialisten als aktuelle Bedrohung für den Staat gesehen. Bei den ‚Türkenbefreiungsfeiern‘ von 1983 war wiederum der real existierende Sozialismus das erklärte Feindbild. Seit den Terror-Anschlägen vom 11. September 2001 sind es erneut die Türken als Muslime“, betont Heiss.
Interaktive Webpage lädt zur Denkmalsuche ein
Die für das Projekt konzipierte Webpage www.tuerkengedaechtnis.oeaw.ac.at macht diese Prozesse sichtbar und will zu einer kritischen und konstruktiven Auseinandersetzung mit diesem kulturellen Erbe anregen. „Im Moment beschränkt sich die interaktiv gestaltete Homepage noch auf Türkendenkmäler im Raum Wien. Eine Ausweitung des Projekts auf die Bundesländer Niederösterreich, Burgenland und die Steiermark ist geplant“, erklärt Feichtinger. Die Konferenz in Bad Radkersburg ist dazu ein thematischer Auftakt.