15.12.2023

„Kompetenz und Zurückhaltung“ 10 Fragen an Dr. Josef Seethaler

INTERVIEW: WISSENSCHAFT ALS BERUF (aviso Nr. 77 Herbst 2023) - Das Interview führte Petra Herczeg, die Beantwortung der Fragen erfolgte schriftlich.


1.) Sie haben das EU-Projekt „Mapping Media for the Future Democracies (MeDeMAP)“ entwickelt und sind im Rahmen des Projekts Koordinator dieses Horizon-Projekts. Wie ist es zu dem Projekt gekommen?

Seit Beginn meiner beruflichen Laufbahn versuche ich mich mit dem Verhältnis von Medien und Demokratie auseinanderzusetzen, in verschiedenen Kontexten. Die Nationalsozialisten und Austrofaschisten wurden ja gewählt; sie haben Diktaturen errichtet, nachdem sie in demokratischen Wahlen Unterstützung erfahren haben. Politikwissenschaftler wie Richard Hamilton haben früh auf die Rolle der Medien hingewiesen. Gabriele Melischek und ich wollten die dahinter liegenden Mechanismen und unhinterfragten Routinen erforschen, die auch heute als Teil eines mehrfaktoriellen Geschehens Wirkkraft entfalten können. Dazu gehören beispielsweise Ingroup-Outgroup-Zuschreibungen ebenso wie wechselseitige journalistische Orientierungen und bestimmte Nachrichtenwerte. Damit haben wir uns dann in vielen Studien beschäftigt, bis hin zu den US-Wahlen. Das darauf aufbauende Plädoyer für einen unabhängigen Journalismus hat zu einer Reihe von Kooperationsprojekten geführt, die mehr oder minder naturgemäß zu diesem Projektantrag geführt haben.

2.) Was unterscheidet dieses von Ihren anderen Projekten? – Welche Ziele verfolgen Sie? – Und ist es für Sie nach jahrzehntelanger Projekteinwerbungs-Erfahrung nun einfacher sich diesem Projekt zu widmen?

Die Dimensionen eines Horizon Europe-Projekts sind natürlich ungleich größer als von nationalen, bi- oder trilateralen Projekten oder auch punktuellen internationalen Kooperationen etwa im Kontext einer klar umrissenen Studie. Das ermöglicht es, Ziele in einer Größenordnung zu verfolgen, die kaum woanders zu realisieren sind, etwa wenn wir in MeDeMAP rechtliche und regulatorische Rahmenbedingungen, Medienangebotsstrukturen und Mediennutzungsmuster in zehn europäischen Ländern theoretisch fundiert zusammensehen wollen. Andererseits macht es einen großen Unterschied, ob man als Partner oder als Koordinator in ein solches Projekt involviert ist. Dieser Unterschied liegt vor allem in der administrativen und organisatorischen Tätigkeit. Und das Ausmaß der dafür aufzuwendenden Zeit habe ich, ehrlich gesagt, weit unterschätzt. Insofern ist es nicht einfacher sich diesem Projekt zu widmen. Im Gegenteil.

3.) Sie leiten die Forschungsgruppe „Media, Politics & Democracy“: Was sind für Sie dabei die zentralen Herausforderungen?

Balance zu halten – und zwar in mehrerleier Hinsicht. Balance zwischen Forschungen, die sich mit Medienstrukturen und mit Medieninhalten und deren Wirkungspotential beschäftigen. Balance zwischen Grundlagenforschung und anwendungsoffener Forschung. Balance zwischen Ordinarium und Drittmittel. Gender-Balance. Und eigentlich sollte es eine Balance zwischen fixen Stellen und Rotationsstellen geben, aber das durchzusetzen ist mir nicht gelungen.

4.) Sie sind sowohl in nationale Projekte wie „Media Pluralism Monitor“ (MPM) als auch internationale Projekte wie zum Beispiel „The Worlds of Journalism Study“ (WJS) zentral oder „Media Pluralism Monitor“ (MPM) eingebunden, wo sehen Sie hier Unterschiede?

In den letzten Jahren hat sich mein Schwerpunkt deutlich in Richtung internationale Projekte verlagert, wenngleich ich in einem Atemzug sagen muss, dass die Trennlinie nicht so eindeutig zu ziehen ist. Das heißt: Mein Team und ich bringen in internationale Kooperationsprojekte die Expertise über österreichischen Journalismus und österreichische Medien und Medienpolitik ein. Das Reizvolle daran ist, einerseits an der Entwicklung von methodischen Instrumentarien mitwirken zu können, die länderübergreifend anwendbar sind, und dadurch andererseits die nationale Situation unter einem zum Teil anderen und ungewohnten Licht zu sehen.

5.) Wie schätzen Sie die Karrieremöglichkeiten junger Wissenschaftler:innen ein – an den verschiedenen Universitäten und an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften?

Wir benötigen in der Wissenschaft – und insbesondere an den Universitäten und der Akademie – dringend Karrierepläne, die den jungen Menschen Lebensplanung und den Instituten Forschungsplanung erlauben. Beides ist keine Sache von ein paar Jahren. Die Richtung, in die sich die Arbeitsbedingungen seit einiger Zeit entwickeln, nämlich in Richtung prekärer Beschäftigungsverhältnisse, ist menschen- und forschungsfeindlich. Wenn man dann noch bedenkt, dass in den nächsten Jahren infolge der in Rente gehenden Babyboomer-Generation unzählige Stellen im öffentlichen Dienst frei werden (in Österreich ist von 45 Prozent die Rede!), dann werden wir die oft beschworenen „besten Köpfe“ nicht in der Wissenschaft halten können. Natürlich braucht es eine starke Motivation, einen Berufsweg zu ergreifen, von dem man weiß, dass man nicht die Bürotür einfach hinter sich zu machen und alles vergessen kann, aber diese Motivation bedarf der Wertschätzung und begründet nicht Ausbeutung.

6.) Wenn Sie die österreichische Forschungslandschaft in Ihrem persönlichen Forschungsfeld betrachten, wie beurteilen Sie diese?

Die österreichische Kommunikationswissenschaft hat in den letzten 25 bis 30 Jahren massiv an internationaler Präsenz und Vernetzung gewonnen – als ich begonnen hatte, galten Tagungsreisen ins Ausland noch als Verschwendung von Steuergeldern. Das ist das Werk vieler Kolleg:innen. Und es ist der einzige wissenschaftsadäquate Weg. Forschung und Chauvinismus verträgt sich ebenso wenig wie Forschung und Patriarchalismus. Wir müssen nur aufpassen, die Entwicklungen vor Ort nicht aus dem Auge zu verlieren, denn diese brauchen den kritischen Blick der Wissenschaft.

7.) Sie waren von 2013 bis 2022 stellvertretender Direktor des Instituts für Vergleichende Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Universität WienKlagenfurt – wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Das ist keine einfache Frage. Das Institut ist durch Umwandlung und Erweiterung einer sogenannten „Kommission“ entstanden. Kommissionen waren zu dieser Zeit an der Akademie kleine, interdisziplinär zusammengesetzte Forschungseinrichtungen mit einem klar umrissenen Programm. Den strukturell geförderten Diskurs mit Vertreter:innen anderer Disziplinen habe ich sehr geschätzt. Am Aufbau einer Institutsstruktur mit zunächst zwei, bald drei Arbeitsgruppen mitzuwirken, war eine große Herausforderung. Einiges ist, glaube ich, gelungen, einiges nicht. Die Reflexion des eigenen Tuns und die Koordination mit den anderen Akademie-Direktor:innen im Kreis der sogenannten Institutsdirektorenkonferenz, die in regelmäßigen Abständen tagt, war ein sehr positives Erlebnis und hat zu bis heute andauernden disziplinenübergreifenden Kooperationen geführt.

8.) Auf welche Weise kann man heute als Wissenschaftler:in Medien und andere Institutionen beraten?

Durch Kompetenz und Zurückhaltung. Wissenschaft hat andere Regeln als Medien oder politische Institutionen. Die Anerkennung der Regeln der anderen ist, denke ich, die Voraussetzung dafür, die eigenen Regeln kommunizieren zu können. Die notwendige gemeinsame Basis liegt woanders: im uneingeschränkten Bekenntnis zu einer demokratischen Gesellschaftsordnung.

9.) Was lesen Sie, wenn Sie keine wissenschaftliche Literatur rezipieren?

Thomas Bernhard, Erich Fried und Primo Levi (um nur einige zu nennen) haben mich ein Leben lang begleitet. Gerade liegt von Suze Rotolo „Als sich die Zeiten zu ändern begannen: Erinnerungen an Greenwich Village in den Sechzigern“ auf meinem Lesetisch.

10.) Schenken Sie uns zum Abschluss ein spannendes Zitat! Warum ausgerechnet dieses?

„Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Adorno mahnt uns wachsam zu sein – in unserem eigenen Interesse. Seine Mahnung ist gegenwärtig wieder allzu aktuell.
 

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