Üblicherweise findet im Anschluss an eine archäologische Grabung die Auswertung aller Funde und Befunde statt, deren Ergebnisse dann veröffentlicht werden. Im Fall der Theaterterrasse des antiken Aigeira im Norden der Peloponnes konnte das nicht in dieser Weise erfolgen. Der damalige Grabungsleiter Wilhelm Alzinger verstarb verfrüht und die Funde aus seinen zwischen 1972 und 1988 in diesem Areal durchgeführten Grabungen wurden ohne weitere Auswertung in Aufbewahrungskisten verpackt und verwahrt. Als sie in ein neues Depot umgesiedelt werden mussten, wurde rasch klar, dass die alten Kisten auseinanderzufallen drohten und der Inhalt daher systematisch in neue Behältnisse umgepackt werden musste, um zusammengehörige Fundkomplexe zu bewahren. Bei der Durchsicht des Materials erkannte Walter Gauß, derzeitiger Leiter der Grabung Aigeira und Mitarbeiter des Österreichischen Archäologischen Instituts der ÖAW in Athen, dass die Funde aus Alzingers Grabungen äußerst interessant und vielversprechend waren, und nahm die Forschungen zum Theaterbereich wieder auf.
Walter Gauß: „Ich sehe es als Verantwortung eines Archäologen gegenüber der Grabungsstätte, nicht nur eigene aktuelle Arbeiten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sondern auch ältere Forschungsergebnisse, die durch widrige Umstände bisher nicht publiziert werden konnten.“
Geophysik zeigt unerwartetes Ergebnis
Mithilfe heutiger Methoden überprüften Walter Gauß und sein Team zwischen 2011‒2018 die bisher vorliegenden Informationen. Die Ergebnisse wurden nun in einer Open-Access-Publikation vorgelegt.
Gezielte Nachgrabungen lieferten neue Erkenntnisse, vor allem zu den bislang kaum bekannten Gebäuden A, B und C, die wohl als Schatzhäuser, Bankettgebäude oder Kulträume dienten. Auch die Interpretation des von Alzinger als Heiligtum der Tyche gedeuteten großen Peristylgebäudes musste revidiert werden. Überraschend war das Ergebnis der geophysikalischen Untersuchungen. Es zeigt, dass noch mindestens ein weiteres, bisher unbekanntes Gebäude mit mehreren Bauphasen im Theater existierte.
Die Aufarbeitung der alten Forschungen in Kombination mit neuen Untersuchungen erbrachte Informationen zur Entstehung und Deutung des Ensembles auf der Theaterterrasse. Zahlreiche Fragen sind aber weiterhin offen, etwa in welchem Zusammenhang die Gebäude zueinanderstanden und welche Funktion sie genau hatten. Weitere Forschungsprojekte dazu und eine Folgepublikation sind bereits in Arbeit.
Die Theaterterrasse von Aigeira ist in den Sommermonaten für Besucher:innen geöffnet.
Wien, 27. Juni 2022