29.08.2022

SOUNDS & SIGHTS OF SCIENCE #9

Ein Wiener Audiobrief – vorgestellt von Katrin Abromeit

Was ist zu hören?

Die Direktschnittplatte enthält drei Grußnachrichten von Familienmitgliedern an ihre abwesende Tochter bzw. Schwester Melitta zum Weihnachtsfest. Der Beginn ist fragmentiert, da die Rille dort beschädigt ist. Die Platte ist ein nicht inventarisiertes Fundstück aus dem Phonogrammarchiv. Verglichen mit anderen Direktschnitten besitzt die Aufnahme ein sehr gutes Signal-Rausch-Verhältnis. Auffallend ist auch, dass sich die Sprechenden sehr professionell artikulieren.
Die Firma Melograph wurde 1930 vom Ingenieur Sigmund Katscher in Wien gegründet. In historischen Werbeanzeigen werden eigene Studios an mindestens drei Standorten in der Stadt beworben: Graben 20, Schlösselgasse 11 und Richtergasse 6. Darüber hinaus war Melograph in Warenhäusern mit Selbstaufnahme-Automaten präsent. Aufgrund der professionell anmutenden Sprache vermuten wir, dass es eine Werbeschallplatte sein könnte, mit der die Möglichkeiten des Wiener Melograph-Studios und der Qualität des Direktschnittes dargestellt wurden. Dafür spräche auch der Aspekt, dass inhaltlich keine konkreten geografischen oder persönlichen Angaben gemacht werden, wie sie bei anderen Audiobriefen zu hören sind, und die Grüße daher recht schablonenhaft wirken. Weil sich das Archiv um 1930 selbst mit Direktschnitttechnik und entsprechenden schneidbaren Platten ausstattete, ist es nicht unwahrscheinlich, dass wir es mit einem Werbeartikel aus der Zeit zu tun haben.
 

AUFNAHME ABSPIELEN


Was ist daran besonders interessant?

Die auf den ersten Blick reizlos wirkende Platte ist aus mehreren Gründen spannend. Sie dokumentiert eine ungewöhnliche Konfektionierungsform der Selbstschnittplatte: Zwei Folien sind beidseitig auf einen Kartonkern kaschiert – diese Plattenform wurde als “Melograph-K-Platte, für besonders hochwertige Aufnahmen” vertrieben. Die Folien bestehen aus Gelatine, einem für (Luft-)Feuchtigkeit empfindlichen Material. Zu beobachten ist, dass aus diesem Grund die Oberfläche leicht verworfen ist, unter dem Etikett Luftblasen entstanden sind und sich die Ränder der Folien im Laufe der Zeit nach oben strebend vom Karton gelöst haben. Für das Abspiel versuchte man offensichtlich, sie mit einem Klebeband zu fixieren.


Wie beschäftige ich mich damit?

Im aktuellen Forschungsprojekt Sonic Memories – Audio Letters in Times of Migration and Mobility bestimme ich die Materialzusammensetzung der Audiomedien, schätze ihren Erhaltungszustand ein und restauriere sie bei Bedarf, um sie für das Abspiel vorzubereiten. Beforscht werden Audiobriefe aus dem Phonogrammarchiv, der Österreichischen Mediathek und eigens im Projekt gesammelte Medien.

Falls Sie irgendeine Spur zu Melitta oder eine Erinnerung an ein Melograph-Aufnahmestudio haben, wären wir gespannt, davon zu erfahren!


Katrin Abromeit ist Konservatorin / Restauratorin für Audiovisuelle Medien am Phonogrammarchiv.
Derzeit leitet sie gemeinsam mit Eva Hallama das Forschungsprojekt Sonic Memories – Audio Letters in Times of Migration and Mobility.


Links

Weiterführende Information zur Firma und dem Produkt Melograph
Direktlink zur Zeitschrift Funkschau von 13.4.1931, in der das Melograph-System beschrieben wird