30.11.2023

Sounds & Sights of Science #24

Dank der Frau auf Draht: Eine Hochzeit in Halbturn, 1953 – vorgestellt von Christiane Fennesz-Juhasz

Was ist zu hören?

Ausschnitt aus dem ‚Auftritt‘ einer Köchin bei einer Hochzeitsfeier im Haus der Brauteltern: Sie tischt der Gesellschaft eine scherzhafte Geschichte auf, was seitens der Anwesenden nicht unkommentiert bleibt. Anschließend wird sie noch ein paar launige Sprüche zum Besten geben, damit es, wie üblich, ans Absammeln ihres Lohns durch die Hochzeitsköchinnen gehen kann. Die Tonaufnahme wurde von Anna Kirschbaum am 10. Feber 1953 im nordburgenländischen Halbturn gemacht. – Zu sehen ist der originale Tonträger, sein Behälter und beigelegter Zettel sowie die Digitalisierung der Aufnahme durch Johannes Spitzbart im Phonogrammarchiv (10.11.2022; Video: Bernhard Graf).
 

AUFNAHME ABSPIELEN

Was ist daran besonders interessant?

Es handelt sich um den seltenen Fall eines privaten Live-Mitschnitts einer Brauchhandlung aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, der zudem den Weg ins Phonogrammarchiv gefunden hat. Aus dieser Zeit – und den Jahrzehnten davor und danach – liegen größtenteils nur Tonaufnahmen zu Brauchtum und Alltagsleben vor, die im Zuge von explorativen Erhebungen gemacht wurden. Aufgrund ihrer Beschäftigung beim Siemens Werk in Wien verfügte die Schwester des Bräutigams über das Audio-Equipment, um einige Momente der Hochzeit festzuhalten, so auch: Kinder mit ihren Gedichten, den ausführlichen gereimten Spruch des Brautführers beim „Brautauffordern“, mit Wünschen für die Neuvermählten, deren Eltern, Geschwister, Beistände usw., jeweils unterstrichen durch Tusche der Blaskapelle (in Text und Ablauf ganz ähnlich wie bereits ein Jahrhundert zuvor für die Dörfer des Heidebodens beschrieben), und schließlich Unterhaltungen von Hochzeitsgästen, wie jene von zwei Männern über die Besonderheit einer Gerätschaft, die damals noch keineswegs jeder/m jederzeit akustische „Selfies“ ermöglichte. Mit einer Gesamtdauer von einer Stunde birgt der Tondraht zahlreiche weitere Aufnahmen (bzw. Aufnahmefragmente), die z.T. bei anderen Gelegenheiten Mitte der 1950er Jahre entstanden und diverse Akteur/innen mit Wort- und Liedbeiträgen – mit je nach Alter und Ort variierendem Sprachduktus – dokumentieren, aber auch Einblicke in Aspekte des Alltags bis hin zum Musikgeschmack der Urheberin gewähren.

 

Wie beschäftige ich mich damit?

In den vorgestellten Aufnahmen kulminieren quasi Herausforderungen, Kompetenzen und Arbeitsabläufe, wie sie in einem AV-Forschungsarchiv zur Routine gehören. Das Phonogrammarchiv ist hierzulande eine der wenigen Institutionen, die über Equipment und Know-how verfügt, um längst obsolete Aufzeichnungsformate spielbar zu machen und die Inhalte damit dauerhaft zu erhalten. Im konkreten Fall handelt es sich um einen filigranen Tondraht (ein Medium des frühen Magnetton-Verfahrens), der in den 1950er Jahren weitgehend von der Tonband-Technik verdrängt, aber z.B. bei Diktiergeräten noch eingesetzt wurde. Träger, die eine Reihe von unterschiedlichen Aufnahmen enthalten, sind nicht gerade eine Seltenheit, ebenso wie dem Archiv überantwortete Sammlungen (aus Forschungskontexten), deren Originaldokumentation unvollständig bzw. recht karg ist. Daher sind gerade hier heutzutage ‚altmodisch‘ anmutende Methoden der Erschließung (weil nicht automatisierbar und daher zeitintensiv) anzuwenden, um bereits bei der Archivierung möglichst umfassende inhaltliche und kontextuelle Informationen für zukünftige Benützungen aufzubereiten. Dazu gehören die dialogische Wissensproduktion in Kooperation mit Urheber/innen und/oder Deponent/innen (in diesem Fall die Tochter der Brautleute) sowie genaues Hinhören auf und Protokollierung der Inhalte, aus denen Informationen bzw. Rückschlüsse für die Erfassung von ansonsten fehlenden Metadaten (wie z.B. Datierung, beteiligte Personen) resultieren. Die Archivarin dankt daher Maria Karl (Halbturn) sowie Herbert Brettl (für die Vernetzung).



Christiane Fennesz-Juhasz ist Ethnomusikologin, AV-Archivarin und Kustodin, zuständig für Musikbestände und Aufnahmen zur Kultur von europäischen Minderheiten.

 

Weiterführende Literatur

F. Engel et al.: Zeitschichten: Magnetbandtechnik als Kulturträger. Erfinder-Biographien und Erfindungen, Chronologie der Magnetbandtechnik und ihr Einsatz in der Hörfunk-, Musik- Fernseh-, Film- und Videoproduktion, 2020 (4. Ausg.)

J. Gall: Eine Bauernhochzeit zu St. Andrä in Ungern, in: Austria: Österreichischer Universal-Kalender, 17.Jg., Wien 1856, S. 292-298 

M.J. Gmasz: Das traditionelle Hochzeitslied auf dem burgenländischen Heideboden: Unter besonderer Berücksichtigung handschriftlicher Liederbücher und Privatchroniken, Univ. Wien, 2013

R. Sztachovics: Braut-Sprüche und Braut-Lieder auf dem Heideboden in Ungern gesammelt und geordnet, Wien 1867