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JOACHIM RICKES (Berlin):  Der Esel ist nicht der Esel. Zu Daniel Kehlmanns Ungewissheitspolitik in ›Tyll‹.
doi: 10.1553/spk49_1s73

In Daniel Kehlmanns jüngstem Roman ›Tyll‹ spielen Esel ein unauffällige, aber poetologisch wichtige Rolle. Ein namenlos bleibender Esel aus Tylls Kindheit kommt in einer rätselhaften Situation im Wald grausam zu Tode – ob durch den Jungen oder auf andere Weise, bleibt im Roman offen. Der an späterer Stelle auftretende Esel Origines begleitet Tyll während seines Gauklerlebens und wird von diesem zur Präsentation seiner Bauchrednerkünste genutzt. Allerdings ist mit zunehmender Handlungsdauer immer ungewisser, ob der Esel nicht möglicherweise doch selbst sprechen kann und möglicherweise sogar ein Buch schreibt. Die fortdauernde Ungewissheit um beide Esel ist Ausdruck von Kehlmanns spezifischer Darstellungskunst, die auf den Begriff einer „Ungewissheitspoetik“ gebracht werden kann. Hierfür werden abschließend weitere Beispiele aus dem Gesamtwerk angeführt.


In Daniel Kehlmanns latest novel ›Tyll‹ two donkeys play an unobtrusive, but important role, especially in respect to Kehlmann’s poetics. In Tyll’s youth, a nameless donkey is killed in a mysterious situation in the forest – whether by Tyll or otherwise, remains unclear. Later a donkey named Origines is one of Tyll’s companions on his circus tours and is used to show Tyll’s dexterity as a ventriloquist. However, in the course of events the reader is more and more puzzled, whether Origines can indeed talk and even write a book. The uncertainty about the donkeys is an example of Kehlmann’s specific poetic approach, which can be described as a ‘poetics of uncertainty’. The conclusion discusses briefly some examples from other writings by Daniel Kehlmann.