Constituting Social Spaces via early modern Pilgrimage in Lower Austria (SALVEMED)

Wallfahren kann als vom vielfältigen Mediengebrauch durchdrungene Praxis frühneuzeitlicher Frömmigkeit beschrieben werden: Mirakel- und Liederbücher, Flugblätter und Druckgrafiken, Pilgerzeichen, religiöse Medaillen sowie andere Devotionalien bewirkten vor, während und nach der Wallfahrt in engem Zusammenspiel mit der Topografie und künstlerischen Ausstattung der Kultorte intensives religiöses Erleben. Diese Medien schufen nicht nur visuell oder auditiv rezipierbare Vorstellungsbilder, die zum Besuch der Pilgerstätten anregten, deren Wahrnehmung vor Ort bestimmten oder als Souvenirs mitgeführt wurden. Sie gaben der Wallfahrtspraxis und den vermittelten Glaubensinhalten auch eine multisensorisch erfahrbare Dimension, und ihre aktiv-performative Rezeption durch die Gläubigen war oftmals mit einer betont physischen Interaktion (Tragen am Körper, Inkorporation usw.) verbunden.

Die Analyse von Wallfahrten als Phänomen „verdichteter Medialität“, die sich in intensiver Kommunikation mit einer gattungsübergreifenden Vielfalt an eng miteinander in Beziehung stehenden Medien äußert, bildet den methodischen Ausgangspunkt für dieses vom FWF finanzierte, interdisziplinär angelegte Forschungsprojekt: Unter Einbeziehung von (kunst-)historischen, sozial- und kommunikationswissenschaftlichen sowie aus der Tourismusforschung entwickelten Fragestellungen untersucht es das Wallfahrtswesen in Österreich unter der Enns von dessen Aufschwung um die Mitte des 17. Jahrhunderts bis zu seinem (vorläufigen) Rückgang im Zuge der josephinischen Reformen am Ende des 18. Jahrhunderts.

Das Projekt erschließt das komplexe Themenfeld auf Basis dreier Fallstudien mit exemplarischer Qualität, die sich auf eine besonders günstige Quellenlage stützen, unterschiedliche Typen der Wallfahrt aufzeigen und durch überregionale Kontextualisierung übergreifende Einsichten in die Pluralität barocker Wallfahrt in Mitteleuropa liefern können. Dabei liegt ein Fokus auf dem vom Benediktinerstift Seitenstetten betreuten Sonntagberg, wo sich um einen der Trinität geweihten Kultort und den sogenannten Zeichenstein einer der zentralen Wallfahrtsstätten Österreichs entwickelte. Als durch seine räumliche Nähe zu Wien geprägte Wallfahrtskirche mit wundertätiger Marienskulptur, einer ins Mittelalter zurückreichenden Tradition und enger Bindung an das Haus Habsburg ist Maria Hietzing ein weiterer zentraler Gegenstand der Studie. Die dem Stift Göttweig unterstellte Pfarrkirche Pyhra, wo um die Mitte des 18. Jahrhunderts ein Kupferstich nach dem Gnadenbild von Maria Taferl selbst zum Objekt der Verehrung wurde, wird als drittes Fallbeispiel herangezogen. Im Zentrum des Projekts steht die Frage, wie durch Wallfahrtsmedien und die mit ihnen verbundenen Handlungen soziale Räume konstituiert wurden. In welchen Beziehungen standen diese sozial definierten Räume zueinander und wie waren sie in verschiedene administrative, wirtschaftliche und herrschaftliche Strukturen eingebunden?

Das Projekt knüpft hierbei unter anderem an die methodischen Überlegungen von Siegfried J. Schmidt an, der Medienangebote als Produkte des Zusammenspiels sozialer Prozesse mithilfe von Kommunikationsinstrumenten, technischen Dispositiven und sozialen Institutionalisierungen beschrieb. Die auf Methoden der Ikonografie, Narratologie, Materialität und Typengeschichte gestützten Untersuchungen der medialen Erzeugnisse werden daher mit einer Auswertung der Netzwerke ihrer Produktion und Distribution sowie ihrer vielfältigen Rezeptionsformen verbunden.

Für die Analyse der durch Mobilität, hohen zeitlichen Aufwand und eine deutliche wirtschaftliche Komponente gekennzeichneten Frömmigkeitspraxis erweisen sich Ansätze der jüngeren Tourismusforschung als überaus fruchtbar, um etwa Dynamiken von Mediengebrauch und Wahrnehmungs- und Verhaltensstrukturen zu erschließen: So lässt sich das Konzept des tourist gaze – des medial konstruierten Blicks, der vorgibt, mit welchen Erwartungen sich Reisende bestimmten Destinationen nähern, wie sie diese (durch den Filter der vorgeformten inneren Bilder) sinnlich erleben, welche Plätze sie aufsuchen usw. – als pilgrim gaze in gewinnbringender Weise auf die Wallfahrt der Vormoderne übertragen. Durch das Herausarbeiten der ökonomischen und sozialen Infrastruktur des Wallfahrtsbetriebs werden zudem Wirkradien sichtbar gemacht, bisher nicht beachtete Akteurinnen und Akteure treten aus dem Schatten und unhinterfragte Narrative der Forschung – etwa zur obrigkeitlichen Steuerung der Praxis – können neu hinterfragt werden. Ziel ist es, durch die Untersuchung von Medialität und der damit verknüpften sozialräumlichen Vernetzungen von Wallfahrtsorten einen wesentlichen Beitrag zu einer differenzierten Darstellung der vielfältigen Mechanismen frühneuzeitlicher Wallfahrt in Ostösterreich und damit der Pietas Austriaca zu leisten.

Assoziierte Forschungsstätte

Kooperationspartner

Stift Göttweig
Mag. Bernhard Rameder, Kustos der Göttweiger Sammlungen
Mag. Dr. Angelika Kölbl, Stiftsarchiv Göttweig


Stift Klosterneuburg
Mag. Dr. Martin Haltrich, Leiter der Forschungsstelle (FoKuS)


Laufzeit

Oktober 2024 – September 2027


Finanzierung