Wed, 19. October 2022 | Category Blog

Citizen Science, Sprach(en)vielfalt

Minderheiten in Österreich - so der Titel des Seminars, das uns in Bleiburg | Pliberk die Verbindungen von Sprache(n), Minderheiten und Identität aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektive näherbrachte, um dann wieder den Bogen zur Citizen Science zu spannen. Bericht und Interview aus einem zeit- und sprachhistorisch spannenden Ort Österreichs.

Bereits am 27. September trafen wir Studienstiftler*innen uns in Bleiburg/Pliberk, um uns kennenzulernen. Der nächste, erste Tag des Seminars begann mit einem spannenden Vortrag über Sprache und sprachliche Mehr- und Minderheiten in Österreich. Unser Fokus lag besonders in Kärnten, und den damit einhergehenden juristischen, politischen und sozialen Thematiken. In diesem Kontext beschäftigten wir uns immer wieder mit der Repräsentation der Kärntner Slowen*innen, historisch wichtigen Entwicklungen in Bezug auf diese und mit der “Sichtbarkeit” der slowenischen Sprache im Ort Bleiburg selbst. Die Kombination aus Vorträgen, Diskussionen und Feldarbeit war sehr gelungen und abwechslungsreich.
Ein Ausflug auf die “Petzen” konnte leider aufgrund des schlechten Wetters nicht stattfinden, weshalb wir am letzten Tag des Seminars als Alternative das Werner Berg Museum in Bleiburg besuchten, das aktuell auch die aus Bleiburg stammende, international erfolgreiche Künstlerin Kiki Kogelnik zeigte - wie auch beim Stadtspaziergang dank Fassadenbespielung nicht zu übersehen war.

Citizen Science

Nach einer kurzen Einführung über das Thema “Linguistic Landscaping” an Tag zwei konnte uns selbst der strömende Regen nicht aufhalten und so zogen wir los, um mittels Lingscape(eine App zur Erhebung von Sprachen auf Tafeln, Flyern, Schildern, etc.) die Sprachlandschaft im Ort Bleiburg zu kartieren. Basierend auf den erhobenen Daten kann man Aufschluss über die Verbreitung einer Sprache in einem bestimmten Gebiet erhalten. Diese Methode der Forschung gehört zur sogenannten “Public Science” und wird einerseits duch die subjektive Auffassung der Benutzer*innen geprägt und holt andererseits auch Laien an Bord: Die App kann jede*r benutzen und somit bei der Erforschung der Verbreitung von Sprache(n) mithelfen.

Lingscape   

An dieser Stelle nun einen großen Dank an die vortragenden Dozent*innen, die an den drei Seminartagen Sachverhalte abwechslungsreich gestaltet und uns viel über die Sprachenvielfalt Österreichs vermittelt haben - und dabei  immer auch ein offenes Ohr für intensive und von  persönlichen Erfahrungen geprägte Diskussionen zu Sprache und Identität hatten.

Text: Magdalena Zotz, Germanistik und Politikwissenchaften, Innsbruck | Fotos: Österreichische Studienstiftung, Stefan M. Newerkla

 

Interview mit Alexandra N. Lenz

Sprache und kulturelle Identität sind Grundvoraussetzungen für den Fortbestand von Minderheiten. Unter der wissenschaftlichen Leitung von Univ.-Prof. Dr. Alexandra N. Lenz und Priv.-Doz. Dr. Sabine Ladstätter waren 25 Studierende eingeladen, in Bleiburg/Pliberk, Kärnten, aus sprach- und kulturwissenschaftlicher Perspektive die unterschiedlichen Ausdrucksformen von Minderheiten in Österreich, mit einem Schwerpunkt auf die Kärntner Slowen/innen, aufzuzeigen, geeignete Forschungsmethoden zu definieren und den genannten Fragestellungen empirisch nachzugehen. Alexandra N. Lenz über ihre Forschungstätigkeit und spannende Ergebnisse des Seminars

Was darf man sich unter dem Forschungsfeld der „Digitalen Geisteswissenschaften vorstellen?

Nehmen wir die Digitale Sprachwissenschaft als Beispiel: Digitale Sprachwissenschaft meint eine Sprachwissenschaft, die sich in ihren Forschungs- und Lehraktivitäten digitaler Methoden und Tools bedient. Das umfasst die verschiedenen Teilprozesse eines Forschungs- oder Projektzyklus: von der Datenerhebung oder der Datensammlung am Beginn eines Forschungsprojekts über die verschiedenen Datenanalysen bis hin zur digitalen Bereitstellung von Ergebnissen und Daten. Je mehr dabei digitale Methoden und Tools nicht nur „bloß“ verwendet und genutzt werden, sondern auch entwickelt, ausgebaut und optimiert werden, umso näher kommt dann die Digitale Sprachwissenschaft auch verwandten digitalen Disziplinen wie etwa der Computerlinguistik. Was ich hier nur kurz am Beispiel der Sprachwissenschaft skizziere, ist dann auch auf alle anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen übertragbar.

Welche Forschungsmethoden sind geeignet, um sich den Fragestellungen des Seminars anzunähern?

Dass die Thematik von Minderheitenforschung aus ganz unterschiedlichen Disziplinen untersucht werden kann, haben wir im Seminar gerade aus der – eigentlich und leider viel zu seltenen – Kombination von Archäologie/Kulturgeschichte und Sprachwissenschaft erfahren und in den Diskussionen mit den Studierenden erlebt. Gesellschaftliche Gruppen und Gemeinschaften, ob Minderheiten oder nicht, bringen eine solche Vielfalt an kulturellen, sprachlichen, sozialen, politischen und anderen Anknüpfungspunkten und potentiellen Forschungsfragen mit sich, dass auch die methodischen Annäherungsmöglichkeiten fast unbegrenzt erscheinen. Da haben wir mit unserer Kombination Archäologie und Sprachwissenschaft nur einige wenige, aber sicher zentrale Aspekte ansprechen und ausloten können.

Welche Ergebnisse haben die Feldforschungserfahrungen gebracht, gab es überraschende Erkenntnisse?

Eine besonders interessanter Teil unseres Seminars war für die Studierenden sicher die Einheit zu „Linguistic Landscaping“, einem Forschungsbereich, der sich mit „Sprache im öffentlichen Raum“ beschäftigt. Im Seminar ging es konkret um die wahrgenommene Schriftlichkeit im Seminarort Bleiburg/Pliberk. Die Studierenden waren mit mobilen Geräten unterwegs und haben alles fotografiert, was ihnen an schriftlichen Zeichen, Wörtern oder Botschaften aufgefallen ist. Die gesammelten visuellen Daten wurden dann mit „Metadaten“ angereichert, um etwa die (vermutete) Sprache oder Varietät und sonstige Auffälligkeiten (zum Beispiel Schriftart, Ort und Art der Anbringung des Zeichens u.a.) festzuhalten. Besonders interessant war einerseits, dass gerade Slowenisch – trotz der offiziellen Zweisprachigkeit des Ortes – relativ wenig in der öffentlichen Landschaft vorzufinden war, dafür aber recht viele Spuren weiterer Sprachen.

Welche eingebrachten Fragen und Themen haben Sie bei diesem Seminar überrascht?

Ich würde eher von Faszination als von Überraschung sprechen. Fasziniert hat mich die Vielfalt an Mehrsprachigkeitserfahrungen, die die Studierenden aus ihren eigenen erlebten Sprachbiographien bzw. aus ihren bisherigen Lebenswelten in die Diskussionen mit- und eingebracht haben. Wir alle sind insofern mehrsprachig, als wir über ein Repertoire von verschiedenen Sprachen oder zumindest Sprachformen (in einer Sprache) verfügen, das wir situations- und generell kontextabhängig einsetzen und gebrauchen können. Wie vielfältig diese Repertoires bei den einzelnen Individuen ausfallen, welche positiven und negativen Erfahrungen wir mit unseren Repertoireausschnitten machen, das waren Fragen unserer Seminardiskussionen.

Was bedeutet das Engagement bei der Österreichischen Studienstiftung für Sie persönlich, was wünschen Sie sich für die Seminare in den nächsten Jahren?

Ein Engagement für die österreichische Studienstiftung ist mir persönlich sehr wichtig. Die Angebote der Stiftung sind hervorragende Möglichkeiten, talentierte und interessierte junge Leute für die Wissenschaft und darüber hinaus für alle Bereiche der Gesellschaft aktiv zu gewinnen. Und ich wünsche mir, dass die Angebote noch weiter ausgebaut und gestützt werden, um noch möglichst viele Studierende in der Zukunft unterstützen zu können.