09.08.2024 | Celebrity Studies

Taylor Swift: Der neue Shakespeare?

Trotz der wegen Terrorverdachts abgesagten Konzerte in Wien, ist das Phänomen Taylor Swift so groß wie nie zuvor - auch in der Wissenschaft. Ihre Texte werden in Universitätskursen besprochen. An der Universität Melbourne fand im Februar 2024 sogar ein „Swiftposium“ statt. Was den Popstar für die Forschung interessant macht, erklärt ÖAW-Literaturhistorikerin Sandra Mayer im Interview.

"Vor allem die Live-Komponente ist sehr wichtig, weil Celebrity eine identitätsstiftende Funktion hat und ein Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Fans schaffen kann," so Sandra Mayer im Interview. © Shutterstock

„Wer hat’s geschrieben: Taylor Swift oder William Shakespeare?“ wird in Online-Quizzes und auf Social Media immer wieder gefragt. Wer sich durchklickt stellt fest: Der US-amerikanische Popstar könnte mehr mit dem britischen Dichter gemeinsam haben, als man auf Anhieb denkt. ÖAW-Literaturhistorikerin Sandra Mayer vom Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften beschäftigt sich unter anderem mit Celebrity Studies, einem interdisziplinären Feld, das Prominenz in seiner Vielschichtigkeit betrachtet. Im Interview blickt sie auf die populäre Musikerin.

Das Phänomen Celebrity 

Was macht Taylor Swift spannend für die Forschung?  

Sandra Mayer: Taylor Swift ist ein Phänomen, dem man sich aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln nähern kann, ob das die Celebrity oder Fan Studies sind, die Soziologie, die Musikwissenschaft oder natürlich die Medien- und Kommunikationswissenschaften. Diese Vielfalt macht sie sehr interessant für die Forschung. Genauso die Tatsache, dass man sämtliche Phänomene der Mediengesellschaft, in der wir leben, an diesem Beispiel ablesen und beobachten kann, nicht zuletzt das Phänomen Celebrity in all seinen Facetten.  

Was bedeutet Celebrity aus akademischer Sicht?

Mayer: Das Phänomen Celebrity wurde in der Forschung lange Zeit eher abschätzig betrachtet, quasi als triviales Nischenthema. Das hat sich zum Glück geändert. Das Feld Celebrity Studies hat sich ab den 1980er Jahren entwickelt und ist sehr interdisziplinär. Celebrity ist ein Phänomen, das in alle Lebensbereiche hineinspielt, ob das gesellschaftliche, wirtschaftliche oder politische Bereiche sind, und kommt durch ein Zusammenspiel von vier Faktoren zustande: erstens die individuellen Akteur:innen, die den Bezugspunkt bilden, zweitens natürlich die Medien, die die Aufmerksamkeit auf diese Individuen noch verstärken, drittens die industriellen Strukturen, die diesen ganzen Celebrity-Apparat tragen, und viertens natürlich die Öffentlichkeit, das Publikum. 

Sie hat mit ähnlichen Problemen wie wir zu kämpfen - ob das Beziehungsprobleme, Abhängigkeiten oder fehlendes Selbstwertgefühl sind.

Wie wichtig ist das Publikum, um Celebrity aufrechtzuerhalten?

Mayer: Das Publikum ist ganz wichtig, würde ich sagen, um das System Celebrity zu validieren. Celebrity kommt ja auch immer in einem Spannungsfeld zustande: Einerseits wollen wir zu jemandem aufschauen, der einzigartig ist und aus der Masse hervorsticht. Andererseits soll es aber auch jemand sein, mit dem wir uns identifizieren können, der mit uns auf Augenhöhe steht. Ich glaube, bei Taylor Swift gelingt es sehr gut, diese Widersprüche zu vereinen. Es wird der Eindruck vermittelt, dass sie, obwohl sie schön, reich, talentiert ist, mit ähnlichen Problemen wie wir zu kämpfen hat - ob das Beziehungsprobleme, Abhängigkeiten oder fehlendes Selbstwertgefühl sind.

Ich würde sagen, dass es unterschiedliche Ausprägungen von Celebrity spätestens ab dem späten 18. Jahrhundert gibt.  

Taylor Swift wirkt wie ein neuartiges Phänomen, aber seit wann gibt es Celebrity?

Mayer: Viele definieren den Begriff sehr eng und sagen, Celebrity tritt erst im 20. Jahrhundert mit den Massenmedien oder überhaupt erst im 21. Jahrhundert mit den digitalen Medien auf. Ich würde sagen, dass es unterschiedliche Ausprägungen von Celebrity spätestens ab dem späten 18. Jahrhundert gibt, mit den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, technologischen Transformationsprozessen in dieser Zeit, also dem Aufstieg des Mittelstands, mit neuen Informationstechnologien, der Buchindustrie, dem Zeitungswesen, und den Konsum- und Medienkulturen, die sich daraus entwickeln. Es gibt aber auch Forscher:innen, die Celebrity  noch früher ansetzen, im antiken Kaiserkult oder der mittelalterlichen Heiligenverehrung.  

In einem aktuellen ÖAW-Interview zu Olympia in der Antike sagt Archäologin Brigitta Eder, dass die Athleten bei den antiken Olympischen Spielen schon wie Popstars gefeiert wurden. Das klingt auch nach einer frühen Form von Celebrity.

Mayer: Spannend! Solche Phänomene sind sicher nicht neu. Ich glaube, was bei Taylor Swift allerdings besonders ist, ist das Zusammenspiel vieler Medien. Da gibt es die Musik, den Text, die visuellen Medien wie die Musikvideos oder die Konzertfilme, aber eben auch die Live Performance, die Sozialen Medien und die gesamte Populärkultur drum herum, die so ein Massenphänomen auslösen. Vor allem die Live-Komponente ist sehr wichtig, weil Celebrity eine identitätsstiftende Funktion hat und ein Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Fans schaffen kann.

Was ich als Celebrity-Forscherin spannend finde, ist die Art und Weise wie Taylor Swift  selbstironisch mit ihrem Celebrity Status umgeht.

Der neue Shakespeare?

Wenn Sie ein Seminar zu Taylor Swift unterrichten würden, welche Fragen oder Themen würden Sie interessieren?

Mayer: Was ich als Celebrity-Forscherin spannend finde, ist die Art und Weise wie Taylor Swift sich selbstreferenziell und auch oft selbstironisch mit ihrem Celebrity Status und ihrer öffentlichen Wahrnehmung auseinandersetzt. Ich glaube, das unterscheidet sie auch zum Teil von anderen Künstlerinnen. In ihrem letzten Album gibt es zum Beispiel einen Titel, der heißt “Clara Bow”, die eine der Stummfilm-Ikonen in Hollywood war und durch die Hauptrolle in dem Streifen It (1927) zum ersten It-Girl wurde. Daher kommt auch diese Bezeichnung. In dem Songtext von Taylor Swift geht es um die Schnelllebigkeit von Ruhm und darum, wie rasch eine weibliche Ikone von der nächsten abgelöst wird. Da reflektiert Taylor Swift offenbar auch ihre eigene Rolle.  

Es geht darum, Taylor Swift als ernstzunehmende Künstlerin zu etablieren.

Auf Social Media werden immer wieder Vergleiche zwischen Taylor Swift und William Shakespeare gezogen. Online Quizzes stellen die Frage: „Wer hat’s geschrieben: Taylor Swift oder William Shakespeare?“ Was haben die beiden aus Ihrer Sicht gemeinsam?

Mayer: Das ist wirklich total spannend. Auch diese Quizzes sind gar nicht so leicht – selbst ich als Literaturwissenschaftlerin bin da nicht immer richtig gelegen. Ich denke, bei diesem Vergleich mit einem der bedeutendsten Schriftsteller der Weltliteratur geht es darum, dieses oft abgewertete Genre der Popmusik aufzuwerten und natürlich auch Taylor Swift als ernstzunehmende Künstlerin zu etablieren.

Was Shakespeare und Taylor Swift auch gemeinsam haben ist, dass die Grenzen zwischen Hoch- und Popkultur bei beiden schwammig werden.

Mayer: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Shakespeare war ursprünglich auch sehr nah am Volk und ist erst im Nachhinein zu einem Vertreter der sogenannten Hochkultur stilisiert worden.

 

AUF EINEN BLICK

Sandra Mayer ist Literatur- und Kulturhistorikerin und leitet das FWF-finanzierte Projekt “Auden Musulin Papers: A Digital Edition of W. H. Auden’s Letters to Stella Musulin“ am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Nach Stationen an den Universitäten Zürich und Oxford, sowie der NUI Galway und Humboldt Universität Berlin, leitet sie außerdem das Elise Richter-Projekt "Autorenschaft und Aktivismus: Literatur, Politik, Celebrity" am ACDH-CH der ÖAW.