Der Standort einer Pflanze prägt sie für ihr zukünftiges Wachstum. Die spezifischen Umwelterfahrungen schreiben sich in ihr epigenetisches Gedächtnis ein. Das bedeutet beispielsweise, dass Pflanzen nach der Kälte des Winters den richtigen Zeitpunkt finden, um neu auszutreiben. Diese Art der Erinnerung funktioniert nicht – wie bei Menschen – über Nervenzellen, sondern über markierte Moleküle, welche die DNA umhüllen. Eben solche Moleküle sind vice versa spezifisch daran beteiligt, wenn pflanzliche Spermazellen für die nächste Generation alle alten Programmierungen „vergessen“ müssen.
Diesen Prozess, der bei der Reifung von Pollenkörnern abläuft, hat ein internationales Team um Michael Borg vom GMI – Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) aufgeklärt und nun im Fachjournal „Nature Cell Biology“ dazu publiziert.
Gedächtnisverlust als Vorteil beim Standortwechsel
Während des Wachstums einer Pflanze speichert sie wichtige Standortbedingungen mit den erwähnten markierten Molekülen ab. Diese epigenetische Modifikation verändert das Akivitätsmuster von Genen je nach Entwicklungsstand der Pflanze. Die Akteure dieses Prozesses sind Histon-Proteine, die die DNA umhüllen, und Methylgruppen, mit denen sie markiert werden. Werden Histone an bestimmten Stellen methyliert, bedeutet das, dass die damit umhüllten Gene inaktiv werden. Bei jeder Zellteilung wird der Methylierungszustand weitergegeben, sobald aber die Geschlechtszellen für die nächste Generation gebildet werden, erfolgt bei den männlichen Pollen eine ganz spezifische Reprogrammierung. Die Standort-Erinnerung der Pollen wird damit gelöscht.
„Das ist ökologisch sinnvoll“, erklärt PostDoc Michael Borg. „Pollen kann über weite Strecken vertragen werden, bevor er weibliche Blüten befruchtet. Das neue Individuum hätte dann von den spezifischen ‚Erfahrungen‘, die die pollenproduzierende Pflanze an ihrem Standort gemacht hat, kaum Vorteile. Beim aktuellen Forschungsprojekt konnten wir den Prozess des „Vergessens“ am Histon H3K27me3 festmachen“, so der ÖAW-Forscher.
Erinnerungsverlust duch Abbau des Histons H3K27me3
Das Vorhandensein von H3K27me3 hebt normalerweise eine kältebedingte Blühverzögerung auf. Im Zuge der Blütenentwicklung und der Reifung der Pollenkörner wird dieses Histon aber wieder abgebaut. Dabei verliert das Pollenkorn die „Erinnerung“ an den alten Standort. Borg und seine Kolleg/innen konnten in ihrem Forschungsprojekt drei verschiedene Mechanismen, die zum vollständigen Verlust von H3K27me3 in Pollenkörnern geführt haben, identifizieren. Darüber hinaus machten sie eine weitere überraschende Entdeckung: Erst das Fehlen von H3K27me3 - also das von der Umwelt geprägte Aufheben der Blühverzögerung - ermöglichte die nächsten genetischen Schritte zur vollständigen Spermatogenese.
„Mit dieser Forschungsarbeit gelang es in unserem Labor zudem nachzuweisen, wie eine spezialisierte Histonvariante eine einzige epigenetische Markierung resetten kann, während andere davon unberührt bleiben. Und diese Aufklärungsarbeit könnte uns auch in Zukunft den Weg bei vielen weiteren Histonvarianten anderer Entwicklungskontexte liefern“, freut sich Forschungsgruppenleiter Frederic Berger.